Wir sind die Hauptstadt

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Wir sind die Hauptstadt. Jawohl: die Kulturhauptstadt Europas. Und das auch noch in diesem Jahr. Nur dieses Jahr; das heißt ja wohl: es geht um etwas! Kulturhauptstadt Europas, jawohl: wir! Das Revier. Toll, wir können stolz sein. 

Genauso stolz wie Istanbul oder Pécs. Die sind nämlich auch Kulturhauptstädte Europas. Aber auch natürlich nur 2010, genau wie wir, das Revier – genauer gesagt Essen. Ist ja auch egal: gemeint ist auf jeden Fall die Metropole Ruhr.
Das ist jetzt die einmalige Chance. Das Jahr 2010, das Kulturhauptstadtjahr. Und so eine Chance muss man einfach nutzen. Die in Istanbul oder Pécs werden es ja auch machen.
Zum Beispiel Pécs. Seien Sie mal ehrlich: letztes Jahr kannten Sie doch Pécs überhaupt noch gar nicht, wussten nicht einmal, wo diese sehr schöne Stadt mit gut 150 Tausend Einwohnern überhaupt liegt.
Erst seit Jahresbeginn ist Ihnen Pécs so richtig ein Begriff, und Sie bilden sich ein, Pécs irgendwie schon immer gekannt zu haben. Natürlich: Fünfkirchen, das Zentrum der Donauschwaben, die fünfgrößte Stadt Ungarns in der Nähe der kroatischen Grenze.

Da können Sie einmal sehen, was so ein Titel ausmacht. Kulturhauptstadt Europas – schlagartig ist man international bekannt, weil die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit einen sozusagen fokussiert.
Denken Sie doch nur einmal an letztes Jahr! Na, an die europäischen Kulturhauptstädte. Gut, wir kannten die Städte schon, weil die eine eine Partnerstadt Duisburg ist, und die andere ganz offiziell im deutschsprachigen Raum liegt. Aber die Leute im übrigen Europa, ach was: weltweit – meinen Sie etwa, so ein New Yorker hätte mit Vilnius oder Linz groß etwas anfangen können?

Und dann sind die Kulturhauptstadt geworden – nein, nicht „Hauptstädte“ – und damit weltweit ein Begriff. Ob in Moskau oder Tokio, oder auch mitten in der Pampa oder auf dem Himalaya heißt es seither hier nur noch:
„Vilnius, ja sicher! Die waren doch 2009 Kulturhauptstadt – zusammen mit Linz. Ach ja, haben wir in bester Erinnerung.“ Und wir – Duisburg – sind Partnerstadt, zusammen mit zig anderen Städten. Dort kannte man freilich Vilnius ebenfalls schon vor 2009 ein klein wenig. Aber das Kulturhauptstadtjahr war selbstverständlich der große Durchbruch.
Dagegen spielt der Umstand, dass Vilnius auch in Wirklichkeit eine echte Hauptstadt ist, eigentlich nur eine untergeordnete Rolle. Vilnius ist nämlich die Hauptstadt von … - na, da oben, ich komme jetzt nicht drauf. An der Ostsee diese Länder: Estland, Lettland, Litauen. Von irgendwas ist das die Hauptstadt, glaube ich. Vilnius, nun ja …

Oder 2008 Liverpool und Stavanger, große Kulturhauptstädte. Sie brauchen nur im Bekanntenkreis zu fragen: „Was fällt Dir zu Liverpool und Kultur ein?“ Und jeder sagt Ihnen: „Mensch Liverpool, die waren doch Kulturhauptstadt. Neulich. Was die da auf die Beine gestellt haben!“ Es ist gut, dass es den Titel „Kulturhauptstadt Europas“ gibt; sonst hätten wir doch von dieser heruntergekommenen Montanstadt nie etwas gehört. Schon gar nicht in Sachen Kultur!
Oder 2007  - na klar, Luxemburg kennt jeder. Aber Sibiu. Erst das Kulturhauptstadtjahr brachte den Durchbruch. Seither ist Hermannstadt in aller Munde.
Und 2011, nächstes Jahr: Turku und Tallinn. Noch haben wir keinen blassen Schimmer. Aber wenn die erst einmal Kulturhauptstadt sind! Okay, das ist noch Zukunftsmusik. Jetzt ist 2010, und die Agenda 2010 heißt: wir sind Kulturhauptstadt.

Wir sind die Hauptstadt. Wir können stolz sein. Wir müssen die Chance nutzen. Aber was machen wir? Wir hier im Revier? Besonders hier in Duisburg? Traurig, aber wahr: einige sind drauf und dran, diese Riesenchance leichtfertig zu verspielen und stattdessen eine Riesenblamage zu riskieren.
Duisburg sei pleite, stöhnen sie oder werfen gar kleinmütig ein: „Was heißt hier überhaupt Kultur?“. Es droht – Tatsache, so steht es in der Zeitung! – der Gesichtsverlust. Duisburg ohne Gesicht – man stelle sich das bloß nur einmal vor!
Aber noch ist nichts verloren, nicht einmal das Duisburger Gesicht. Es gibt Hoffnung. Hoffnung für die Loveparade 2010 in Duisburg. Hoffnung auf den Mega-Event im Kulturhauptstadtjahr!
Und ein Gutes hat dieses kleinmütige Hin und Her auf jeden Fall. Endlich wissen wir, wie Duisburgs Gesicht aussieht. Ich finde es sehr hübsch, um ehrlich zu sein: voll geil. Duisburgs Gesicht: nackte Titten. Möge die Welt auf diese Stadt blicken! 

Werner Jurga, 23.01.2010

 

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