Wenn das Wörtchen wenn nicht wär

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

„Wenn wir in vier Jahren den Vorkrisenstand wieder erreicht haben …“, sprach unser aller Kanzlerin letzte Woche in der Haushaltsdebatte und meinte damit die Wirtschaftsleistung (BIP) und das Beschäftigungsniveau, „dann haben wir gut gearbeitet.“

Sehen wir einmal davon ab, dass die Regierung selbst weder Wachstum noch Arbeitsplätze schaffen kann, Tatsache ist, sie kann gut oder schlecht oder irgendwie dazwischen arbeiten. Und, was meinen Sie? Wenn es am Ende von Merkels Amtszeit in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt in etwa wieder so aussieht wie heute, hat sie dann „gut gearbeitet“?
Oder meinen Sie, wir haben es hier mit einem Fall von Tiefstapelei zu tun? Legt Frau Merkel die Latte bewusst tief, damit sie ganz locker drüberspringen und sich danach ein „gut“ abholen kann? „Seht her“, zieht dann die Kanzlerin 2013 in den Wahlkampf, „es geht Euch heute nicht einmal schlechter als 2009 / 2010. Ich bin gut. Wählt mich!“ Nutzt die Kanzlerin die Weltwirtschaftkrise nur aus, um von vornherein klarzustellen, woran es wohl liegen könnte, wenn es einmal nicht so läuft? „Na gut; aber ich habe verdammt lange kein Schach mehr gespielt“ mag eine zulässige Selbstdistanzierung sein, wenn man sich überreden lässt. Aber Frau Merkel wollte unbedingt spielen, am liebsten mit Schwarz-Gelb.
Weltwirtschaftkrise – was wurde daraus 2009 für ein Affentheater gemacht! Und, was ist draus geworden? Die Arbeitslosigkeit ist kaum gestiegen, der Sprit wurde billiger, und für Duisburg sprang noch ein prima Konjunkturprogramm dabei heraus. Wenn das die schwerste Krise seit Anno Tubac sein soll, dann wünscht man sich doch mehr davon.

„Wenn wir in vier Jahren den Vorkrisenstand wieder erreicht haben …“ – tja, wenn. Wenn das kleine Wörtchen wenn nicht wär …
Wir haben es hier keineswegs mit Zweckpessimismus zu tun, und würde man Frau Merkel an dieser Stelle Optimismus unterstellen, müsste man einräumen: das ist ihr Job. Jedoch: in Erwägung zu ziehen, 2013 könnten Wachstum und Beschäftigung ähnlich hoch, die Arbeitslosigkeit also ähnlich niedrig sein wie 2009, hat nichts mit Optimismus oder Zuversicht zu tun. Es wäre reine Phantasterei!
Aber Frau Merkel hat, wie so oft, so etwas gar nicht prophezeit. Sie hat eine Wenn-Dann-Beziehung in den Raum des Hohen Hauses gestellt: „Wenn wir in vier Jahren den Vorkrisenstand wieder erreicht haben, dann haben wir gut gearbeitet.“ Ja, so ist sie, unser aller Bundeskanzlerin. Sie sagt selbst dann nichts, wenn man meinen könnte, sie habe irgendetwas gesagt.
Auch wenn die Regierung selbst weder Wachstum noch Arbeitsplätze schaffen kann, Frau Merkel hat Recht: in diesem Fall hätte sie gut gearbeitet. Wie gesagt: reine Phantasterei!

Nur zur Klarstellung: der Kapitalismus wird auch in den nächsten vier Jahren nicht zusammenbrechen, und ich bin kein Schwarzmaler. Einen solchen Satz nennt man ein Oxymoron, also so etwas wie Hassliebe oder Minuswachstum. So etwas gibt es alles, sonst bräuchte man ja keine Konzessivkonjugationen. Also: ich bin kein Schwarzmaler, obwohl der Kapitalismus auch in den nächsten vier Jahren nicht zusammenbrechen wird.
Und die Weltwirtschaftkrise? 2009 sind die Reallöhne gestiegen, also im Durchschnitt. Will sagen: bei den einen mehr, bei den anderen weniger, bei manchen gar nicht, und Kurzarbeiter haben weniger in der Tasche. Dennoch: die meisten hatten unterm Strich mehr, im Durchschnitt 2,5 % - vor allem wegen der Preisentwicklung, die zwar als Inflationsrate (0,4 %) gemessen wird, jedoch kaum als Inflation zu bezeichnen ist. Anders formuliert: das verfügbare Einkommen der meisten Deutschen war 2009 höher als jemals zuvor. So viel zum Thema Schwarzmalerei, so viel zum Thema … - ach nein, auf die Weltwirtschaftkrise muss ich noch einmal zurückkommen.

Es ist also nicht so dicke gekommen wie befürchtet. Das Bruttoinlandsprodukt ist 2009 nicht um sechs Prozent eingebrochen, sondern nur um fünf. Also von 100 (Stand 2008) auf 95 (Stand 2009). Jetzt nehmen Sie mal bitte Ihren Taschenrechner und gucken mal, wie viel Prozent Wachstum Sie jedes Jahr brauchen, damit im Jahr 2013 der Wert 100 wieder erreicht ist. Ob die Bundeskanzlerin das einmal gemacht hat? Für eine Physikerin eigentlich kein Problem.
Zufälligerweise habe ich gerade einen Taschenrechner zur Hand. Ich unterstelle 2% Wachstum; dann hätten wir 2010 schon wieder einen Wert von 96,9 und 2011 von 98,8. Und schon 2012 hätten wir die Wirtschaftsleistung von 2008 wieder erreicht mit 100,8 Punkten. Wir bräuchten einfach nur läppische 2% Wachstum. Und schon würde Merkels Phantasterei Wirklichkeit: „Wenn wir in vier Jahren den Vorkrisenstand wieder erreicht haben …“
Allerdings nur bezogen auf das BIP, nicht auf die Arbeitsplätze. Denn die Arbeitsproduktivität steigt ja ebenfalls jedes Jahr etwas an. In Deutschland übrigens gegenwärtig aus verschiedenen Gründen nicht ganz so stark; in den USA zum Beispiel dafür aber ganz gewaltig. Sollte Deutschland jedoch seine starke Exportstellung halten wollen … - ein anderes Thema. Die Exportorientierung der deutschen Wirtschaft ist nicht die Lösung, sondern das Problem.

Wer könnte sonst noch Nachfrage, also Arbeitsplätze schaffen? Die Binnenkaufkraft. – Da hakt es leider auch. Irgendwie sind die Leute nicht so richtig in Stimmung. Der Tagesspiegel schreibt:
Die Stimmung der Verbraucher in Deutschland verschlechtert sich. Wie die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) am Montag mitteilte, sinkt der Konsumklimaindex von 3,4 Punkten im Januar auf 3,2 Punkte im Februar. Damit verdüstert sich die Laune der Verbraucher zum vierten Mal in Folge.
Dann bleiben nur noch öffentliche und private Investitionen. Öffentliche Investitionen – am Beispiel Duisburgs: es sieht nicht gut aus. Arbeitsplätze sowieso schon einmal nicht. Die Stadt Duisburg streicht 680 Verwaltungsstellen, wie die Rheinische Post schreibt. Aber es gab doch ein Konjunkturprogramm?
Ja, das stimmt, erfreulicherweise. Nur: das hatte einen Grund, nämlich die wegbrechende Konjunktur. Lesen wir also, was die RP schreibt:
Duisburg sind die Einnahmen weggebrochen. Nach Angaben der Stadtverwaltung gingen krisenbedingt die Einnahmen aus der Gewerbesteuer im vergangenen Jahr um über 56 Prozent auf nur noch 110 Millionen Euro zurück.
Und was machen die privaten Investitionen? Gegenfrage: würden Sie, wenn Sie Unternehmer wären, investieren, wenn die Verbraucher nicht in Konsumlaune sind, der Staat Ihnen nichts abkaufen wird, und die deutsche Stellung auf den Exportmärkten wackelt?

Ãœbrigens: von 2% Wachstum geht kein Mensch aus. Der Internationale Währungsfonds kommt jetzt mit ganz optimistischen 1,5 % raus; außer der Bundesregierung will das niemand glauben. Aber auch dann – nehmen Sie mal Ihren Taschenrechner – schafft Merkel in vier Jahren nicht den Vorkrisenstand. Beim BIP. Arbeitsplätze? Ja Gott, Arbeitsplätze – auch in vier Jahren wird es noch welche geben. Genauso wie den Kapitalismus. Nur eben ein paar weniger. 

Werner Jurga, 27.01.2010

 

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