13.02.1945 in Dresden

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

In den achtziger Jahren hatten wir regelmäßig eine ältere Dame in Süddeutschland besucht, die inzwischen längst verstorben ist. Sie stammte aus Schlesien; doch die Kriegswirren hatten sie nach Sachsen verschlagen, genauer gesagt: in die sächsische Hauptstadt, also nach Dresden.

Nun pflegte ich auch schon in den achtziger Jahren spät zu Bett zu gehen, was der älteren Dame, die sonst allein lebte, sehr willkommen war. Wir plauderten über dies und jenes, und dazu gab es immer eine Flasche Wein. Mindestens.
Nach dem zweiten oder dritten Glas lenkte sie unser Gespräch regelmäßig auf Dresden. Schließlich hatte sie dort etwa fünfzehn Jahre gelebt. 1944 war sie vor dem Krieg ins „Elbflorenz“ geflohen; 1959 machte sie sich mit ihrem Mann auf in den Westen, wo man damals noch ohne weiteres Arbeit finden konnte.
Die Kommunisten hatte sie nicht in bester Erinnerung. Dass in der DDR die Bilder Stalins ab- und durch die Bilder Chruschtschows ersetzt wurden, hatte sie nur wenig beeindrucken können. Besonders gern erzählte sie die Geschichte, wie der Politkommissar im Betrieb auf das neue Foto zeigte und sie fragte: „Na, weißt Du, wer das ist?“ Und sie antwortete: „Das müsste doch der Trotzki sein.“
Sie hatte Tränen vor Lachen in den Augen. Sie war stolz, wie sie es denen da oben gezeigt hatte. Und ich wusste, spätestens ab dem dritten Male, wie die Sache jetzt weitergehen würde. Zunächst noch ein Glas Wein.

„Du, Werner“, sagte sie dann jedes Mal zu mir: „Dresden …“ – so als habe sie noch niemals mit mir über dieses Inferno gesprochen. Noch ein Glas Wein. Ihre Stimme löste sich dann jedes Mal, die Tränen waren ohnehin noch in ihren Augen: „Du kannst Dir das nicht vorstellen!“
Und dann kam sie auf den 13. Februar 1945 in Dresden zu sprechen. So, als ob sie noch nie zuvor mit mir darüber gesprochen hätte. Für gewöhnlich war die ältere Dame im Kopf völlig klar. Auch an diesen Abenden hatte sie nicht so furchtbar viel Wein getrunken, dass sie irgendwie volltrunken gewesen wäre. Sie sprach vollkommen deutlich, aber leise und langsam, mit vielen Unterbrechungen.
„Du weißt doch, dass die Engländer … und später die Amerikaner …“ Ja, ich wusste. Und ich wusste auch – wie gesagt -, was jetzt kam. Ich hielt ihre Hand. Und sie erzählte von den Bombenangriffen, den Angriffswellen. Kurzer Satz, Pause, der nächste kurze Satz. Die Stimme tränenerstickt. Längere Pause. Noch ein Glas Wein.

Sie selbst war in einem Bauernhof ein paar Kilometer vor Dresden untergekommen. Karnevalsdienstag, 13. Februar 1945, Bombenalarm, Viertel vor Zehn. Man begab sich in den Keller. Dort konnten die Leute hören, wie von Viertel nach Zehn bis halb Elf jede Minute mehr als hundert Bomben in der Großstadt explodierten, also knapp zwei pro Sekunde.
Dann war der Spuk vorbei. Man ging wieder hoch. Die ältere Dame, die 1945 noch eine junge Frau war, sah vom ersten Stock des Bauernhauses, wie Dresden in Flammen stand. Elbflorenz brannte lichterloh.
Mitten in der Nacht ging es wieder los. Sie wusste nicht mehr, wie spät es war. Wir wissen: die zweite Welle rollte von Fünf vor halb Zwei bis Fünf vor Zwei über Dresden und die ganze Umgebung. Diesmal kamen 650.000 Brandbomben runter, sechshundertfünfzigtausend! Genauso viele Bomben, wie Dresden zu Beginn des Zweiten Weltkrieges Einwohner hatte. Doch 1945 war die Stadt mit Flüchtlingen überfüllt.
Die Überlebenden der ersten Angriffswelle flüchteten in die Wälder rund um die Stadt. Die brannten jetzt auch – nach der zweiten Angriffswelle. Beide Angriffe wurden geflogen von der Royal Airforce. An den beiden folgenden Tagen, also am 14. und 15. Februar 1945, flog die US Airforce Angriffe gegen Rüstungsbetriebe und diverse Anlagen der Reichsbahn, wobei jedoch auch versehentlich ein Krankenhaus getroffen wurde.

Die US-Angriffe wurden hier von mir ergänzt; soweit ich mich erinnere, hatte mir gegenüber die ältere Dame davon nichts erwähnt. Diese vergleichsweise gezielten Angriffe dürften für sie keine große Rolle mehr gespielt haben.
Den britischen Bombenterror gegen die Zivilbevölkerung, den hat sie zeitlebens nicht „verarbeiten“ können, wie man heute so sagt. Nach einem weiteren Glas Wein erzählte sie mir von den Leichen, die noch überall auf den Straßen herumlagen. Die meisten waren nicht verkohlt, die meisten waren einfach nur erstickt.
Und dann dieser schreckliche Gestank! Ihre Schlücke wurden größer, und sie trank schneller. Sie schüttelte sich dann vor Ekel. Es roch nach Verbranntem, doch dieser Geruch wurde sukzessive von dem süßlichen Leichengestank überlagert. Sie wurde Zeugin, wie an einigen Punkten die toten Menschenkörper zu Leichenbergen getürmt, mit Benzin übergossen und angezündet wurden. Einige Zeit später  roch es wieder nach verbrannt. Der normale Geruch in diesen Tagen in und um Dresden. „Werner, wir gehen jetzt ins Bett!“

Lange Zeit ging man davon aus, dass in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 Hunderttausend oder gar mehrere Hunderttausend Menschen umgekommen seien. Inzwischen ist man sicher, dass die Opferzahl „nur“ zwischen 18.000 und 25.000 Menschen liegt.
Bei Wikipedia steht: Diese Angriffe waren nicht die schwersten im Luftkrieg im Zweiten Weltkrieg. Doch wenn Sie diesen Link anklicken, werden Sie feststellen: in Europa schon. Dass die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki mehr Menschenleben gekostet hatten, ist klar.
Zwischen 18.000 und 25.000 Tote – unvorstellbar! Der NPD reicht diese Opferzahl dennoch nicht aus. In ihrer Parteizeitung „Deutsche Stimme“ schreiben die Nazis:
„Zum 65. Jahrestag des Feuersturms geht es um unsere Toten. Zum 65. mal jährt sich am 13. Februar der Feuersturm von Dresden. Hunderttausende kamen dabei um …“
Wie bitte?!
„Hunderttausende kamen dabei um, wurden heimatlos.“
Ach so.

Es ist ein zivilisatorischer Akt, den Bombenangriffen auf Dresden zu gedenken. Allerdings ist es seit einiger Zeit auch Tradition, dass sich an diesem Tag Nazis aus ganz Deutschland und aus ganz Europa in Dresden versammeln.
Den Braunen kommt sehr zu Pass, dass in diesem Jahr der 13. und der 14. Februar auf Samstag und Sonntag fallen. Es ist davon auszugehen, dass am Wochenende Europas größter Nazi-Aufmarsch seit Kriegende stattfinden wird. In Dresden.
Die NPD mobilisiert auf Teufel komm raus. Noch einmal aus der „Deutschen Stimme“:
„Das ist dieses Jahr besonders wichtig. Zum einen, weil der 65. Jahrestag des Untergangs Dresdens ein markantes Datum im Geschichtskalender ist. Und zum anderen, weil auch die Gegner eines würdigen Gedenkens in diesem Jahr alles daran setzen werden, diesen Tag für sich zu vereinnahmen. Es wird ein überparteiliches Aktionsbündnis (»… kein Platz für Angst und Gewalt«) geben, eine Menschenkette von der Synagoge bis zum Altmarkt – und das übliche Lumpengesindel mit Israelfahnen und »Bomber Harris, do it again!«-Plakaten wird es auch wieder geben.
Noch nie zuvor war es deshalb so wichtig, in Dresden der Opfer von Massenmord, Terror und Deutschenhass zu gedenken.“
So die NPD. Das Parteiblatt fordert die Nazis auf, sich manierlich zu verhalten.

Ich denke, ich brauche mich nicht von den von der „Deutschen Stimme“ erwähnten „antideutschen“ Knallköpfen zu distanzieren, die den Bomber Harris um ein Do-it-again bitten. Denn ich habe mich niemals mit ihnen eingelassen. Und sollten Sie sich am Wochenende bei der Medienberichterstattung über die linksradikalen selbsternannten Israel-Freunde echauffieren, achten Sie bitte bei Ihren Flüchen darauf, dass Sie nicht das Wort Lumpengesindel in den Mund nehmen! Hinterher stellt man Sie noch in eine Ecke, in die Sie nicht gehören …
Ehrlich, ich hatte weder irgendwelche Sympathien für die „Antideutschen“ noch für die Kriegsführung des „Coventrierens“, wie Goebbels den Bombenterror gegen Zivilisten in Anspielung auf die deutschen Luftangriffe auf die englische Stadt Coventry zu nennen pflegte.
Ich will nur der Vollständigkeit halber ergänzen, was sich auch noch in diesen Tagen in Dresden ereignet hatte:

„Da die Bomben auch die Gestapozentrale zerstörten, kam es nicht mehr zur Deportation der letzten 174 Dresdner Juden, die zwischen dem 14. und 16. Februar 1945 angesetzt war.“ (Wikipedia)

Werner Jurga, 11.02.2010

 

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