Spritpreis-Schmerzgrenze

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Stichwort: Spritpreise. Die Schmerzgrenze ist erreicht, mindestens, eigentlich schon überschritten – meine jedenfalls.
Nun ist es fast zwei Wochen her, dass der Benzinpreis über 1,50 Euro geklettert ist. Einige Tage vor dem langen Pfingstwochenende: ein großes Geschrei. Ich denke mir: lass sie mal, das legt sich auch bald wieder. Schließlich leben wir in einer Mediendemokratie, der Motor, der die Sau durchs Dorf treibt, heult mal kurz laut auf – im Affenzahn ist alles high speed wieder verschwunden.
Doch diesmal, an der Schmerzgrenze, scheint der Grenzschmerz ganz besonders weh zu tun. Die kriegen sich ja gar nicht mehr ein.

Was versteht man eigentlich unter „Schmerzgrenze“?

Naiv, wie ich bin, dachte ich an das untere Preislimit, zu dem ein Verkäufer zum Tauschen einer Ware bereit ist, oder wie in diesem Fall an das Maximum, das ein Kaufinteressent maximal zu zahlen bereit ist. Offenbar war diese „Schmerzgrenze“ nicht gemeint, sind doch die Straßen immer noch proppevoll, wird also immer noch wie wild Benzin gekauft. Zu früh gefreut, zu kurz gedacht – ökonomisch. Denn die genannte Definition gilt selbstredend nicht für Waren des lebensnotwendigen Bedarfs.
Beispiel: wie Sie wissen, sind weltweit die Lebensmittelpreise in den letzten Monaten dramatisch gestiegen. Übrigens noch stärker als der Ölpreis, aber ich will Sie nicht mit sachfremden Details belästigen. Jedenfalls müssen die Menschen Lebensmittel kaufen oder aber, was sie in der Dritten Welt vorzuziehen scheinen, eben hungern. Erfreulich oder nicht, hier gilt das Gesetz der Mediendemokratie. Dieses erbärmliche Hungern und Verhungern wurde von den apokalyptischen Naturkatastrophen in Birma und China aus den Nachrichten verdrängt. Auch hierzulande werden die „minder privilegierten Schichten“, wie das heute heißt, bspw. in Duisburg durch die gestiegenen Lebensmittelpreise erheblich belastet, wenn auch nur in abgespeckter Form, vor allem also gewichtsmäßig.
Zurück zu Benzin und Diesel, also zu den Waren des lebensnotwendigen Bedarfs, merke: was in der Dritten Welt der Brotpreis, ist in der Ersten der Spritpreis. „Was mich am meisten wütend macht, ist die Ohnmacht“, säuselt leise leidend eine Frau mittleren Alters in die Fernsehkamera, während sie ihren PKW betankt: „Man kann ja nichts machen!“ An der gleichen Tankstelle erregt sich ein älterer Herr über die „Abzocker“. Die Volksseele kocht, und ein Ende des Volkszorns scheint nicht absehbar.
Hungerrevolten und Plünderungen von Supermärkten in Haiti und Bangla Desh. Müssen wir hier bald mit Spritrevolten und der Plünderung von Tankstellen rechnen?

Nun Volk tank auf und Sturm braus los !

Inzwischen hat sich nämlich im Volke herumgesprochen, wer die „Abzocker“ sind. Der Staat, also die Politiker, also die Kameraden, die außer sich selbst die Diäten zu erhöhen eigentlich sowieso nichts tun. Das stimmt also tatsächlich, was ich wiederholt auf einem Schaubild an einer Zapfsäule gesehen habe: das meiste vom Spritpreis geht an den Staat, nämlich 63,2 Prozent. Das ist zwar – trotz Mehrwert- und Ökosteuer – ein Minusrekord (1995 waren es 79 %), aber trotzdem: schlimm, diese Politiker.
Damit sie nicht allesamt vom darbenden Volk hinweggefegt werden, tun sie jetzt wenigstens so, als wollten sie Einsicht zeigen. Vorneweg die CSU, dann wird die CDU nicht lange auf sich warten lassen, die Linken reklamieren die Urheberschaft ohnehin für sich, und auch in der SPD formieren sich Landesverbände zur Wiedereinführung der Pendlerpauschale. Die FDP ist sowieso immer für Steuer- und Abgabensenkungen (musste sich bei Regierungsparteien halt immer den Sozialisten aller Couleur fügen). Man kann denen allen nicht trauen. Die Grünen, die mal fünf Mark für einen Liter Benzin gefordert hatten, halten jetzt ganz schön den Schnabel. Am Rande lassen sie mitunter vernehmen, auch ihnen sei der Kraftstoff zu teuer.

Über drei Stunden Schuften für eine Tankfüllung

Vor knapp zwei Wochen, also kurz nach dem Überschreiten der „Ein-Euro-Fünfzig-Schmerzgrenze“, erschien in der WAZ der ziemlich lange Artikel „Benzinpreis-Ärger ohne Ende“. Zeile über Zeile das dumme Geschwätz wie von den ohnmächtigen Menschen an der Zapfsäule, Spalte über Spalte der Käse von ADAC, Bildzeitung und Konsorten. Doch dann, im letzten (!) Absatz endlich die Antwort auf die Frage, warum das Autofahrervolk trotz Drangsalierung als Melkkuh der Nation immer noch weiterfährt. Die Schlusssätze (!) lauten:

Berücksichtigt man die Einkommensentwicklung in Deutschland, dann ist der Sprit nicht unerschwinglich, sondern günstiger geworden. Legt man den durchschnittlichen Bruttostundenlohn eines westdeutschen Industriearbeiters zu Grunde, dann musste er nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 1960 für einen Liter Benzin 14 Minuten arbeiten. 2005 waren es rund vier Minuten.

Hier ist der Punkt erreicht, wo sich selbst Leute, die nicht allzu viel Böses über mich denken, hartnäckig weigern, mir zu glauben („mir“ ist gut; ich habe ja das Statistische Bundesamt zitiert). Im Laufe ihres Berufslebens habe sich der Benzinpreis verdoppelt, ihr Gehalt aber keineswegs. Tja, was jetzt. Spontan fiel mir nur ein, dass die Einkommensentwicklung im öffentlichen Dienst, wo diese Leute ihr Dasein fristen, mit dem allgemeinen Trend nicht mitgekommen ist. Diese Antwort konnte allerdings weder diejenigen, die ihre Arbeitsplatzsicherheit mit bitterer Armut erkauft hatten, befriedigen noch mich Rentner, der glücklicherweise in der gesellschaftlichen Prosperität mitschwimmt.
Also habe ich mir die Arbeit gemacht, selbst einmal genau hinzuschauen. Kein Problem, denn der „Spiegel“ (20 / 2008) vom 10. Mai hatte auf Seite 25 die Entwicklung der Durchschnittseinkommen – freie Wirtschaft, ohne öffentlichen Dienst, ätsch – dargestellt, die Preise für den Liter Super hatte ich aus dem zitierten WAZ-Artikel, und den Quotienten habe ich mit meinem Taschenrechner ermittelt.

Jahr       Durchschnittseinkommen    Liter Super      Quotient
1960       3276                                            0,341                     9607
1970       7272                                            0,325                   22375
1980     16980                                           0,612                    27745
1990     25740                                           0,613                    41990
2000     35808                                           1,016                    35244
2007     39415                                           1,344                    29326

Also: der Durchschnittsverdiener konnte 1960 nicht einmal fast zehntausend Liter Super tanken (wenn er Lust gehabt hätte), letztes Jahr fast noch dreißigtausend. Dennoch hatte mein Freund Recht; denn bei Vergleichen kommt es immer darauf an, welcher Basiswert zu Grunde gelegt wird. Also: er hat 1990 angefangen, und es stimmt: der Spritpreis hat sich verdoppelt, das Einkommen nicht. Hätte er mal schon 1980 gearbeitet, gleicher Benzinpreis wie 1990, aber das Einkommen ...
Fazit heute in Relation zu 1980: Sprit doppelt so teuer bei zweieinhalbmal so hohem Einkommen. Die Relation zu 1990 sieht nicht ganz so günstig aus. Vergleichen Sie 1990 aber mit 1980 sehen Sie, dass Sie für Ihr Einkommen immerhin schon mal 50 Prozent mehr tanken konnten.

Und auf diese menschenunwürdigen Zustände von 1980 bewegen wir uns gegenwärtig zu ...

(wird fortgesetzt)

Werner Jurga, 19.05.2008

siehe auch: Super-Plus ist Bio-Sprit

 

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