Straßenbahnwahlkampf

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Seit etwa vier Wochen tobt in Duisburg – und Duisburg ist überall! – der Straßenkampf.

Evrywhere I hear the sound of marching, charging feet, boy
cause summers here and the time is right for fighting in the street, boy

Das ist von 1968. Man war noch jung. Ich speziell sogar sehr jung. Aber ich fand das unheimlich gut. Sagte man damals so: unheimlich gut. Für die heutige Jugend sinngemäß übersetzt: voll geil. Also das Lied über ihn, nicht etwa er selbst,
 

der Straßenkampf

Und, sozusagen aus Tradition, ist es vor vier Wochen wieder losgegangen. Als Ritual, also so ähnlich, nur eben ganz anders. Im Schnitt so einmal jährlich, im Moment knubbelt es sich ein wenig, hört dann aber ab nächsten Sommeranfang für eine ganze Zeit auf.
Wie gesagt: ein Ritual, so ähnlich wie Karneval, gar nicht einmal so ganz anders – und vor allen Dingen: in demokratische Formen gegossen, als pazifiert, zivilisiert. Will sagen: klare Regeln, eben alles demokratisch. Ach, was rede ich? In demokratische Formen gegossen – Humbug. Totaler Quatsch. Die Rede ist hier vielmehr von der Demokratie höchstselbst. Die Regel – merke: erst der Straßenkampf, dann
 

der Straßenwahlkampf

Okay, Ausnahmen gibt es freilich immer, gelten sie doch schon sprichwörtlich als Bestätigung der Regel. Und klar: es ist auch schon vor 1968 gewählt worden, weshalb es auch schon zuvor nicht nur Wahlkämpfe, sondern sogar auch schon Straßenwahlkämpfe gegeben hatte.
Und was für welche! Nur eben noch nicht so richtig zivilisiert. Ich kann mich noch sehr genau an eine Szene erinnern, es war so Mitte der 60er, da hat so ein böser Mann von der SPD einen älteren Herrn, der sich – genau wie meine Familie - für den Konrad Adenauer eingesetzt hatte, angeschrieen. Wirklich wahr!
Dabei war dieser SPD-Kerl auch schon ziemlich alt, ich glaube so etwa vierzig. Aber der für uns gesprochen hatte, war schon Rentner. Und deshalb fand der auch den Adenauer so gut. Und da schreit dieser Rote: „Der Adenauer, der hat den Bundestag belogen!“ Also: wir hatten damals jeden Abend die Tagesschau geguckt, und ich weiß noch genau: es waren immer die von der SPD, die gelogen hatten. Die von der CDU eigentlich nie. Und der Adenauer sowieso schon mal nicht.

Na ja, alte Geschichten. Jedenfalls hatten die Rolling Stones oder wer auch immer dann 1968 und so dafür gesorgt, dass es demokratischer wurde und es endlich statt Straßenkampf Straßenwahlkampf geben konnte.
Straßenwahlkampf – ich hatte Ihnen vor gut zwei Wochen mitgeteilt, dass mir auch schon das zuviel ist, und dass ich unter diesen Umständen erst einmal weg bin.
Nur für zwei Wochen. Also kam ich vorgestern zurück. Politisch gut informiert war ich selbstverständlich darauf eingestellt, dass er immer noch voll im Gange ist, der Straßenwahlkampf. Mich sollte also nichts mehr umhauen können. Dachte ich. Pustekuchen. Am Samstag in die Lokalzeitung geguckt, Schock! Das Grauen,
 

der Straßenbahnwahlkampf

Ich gebe freimütig zu: darauf war ich nicht vorbereitet. Straßenbahnwahlkampf – ja, wo gibt es denn so was?! Da konnte ich nun wirklich nicht mit rechnen.
Hildegard Chudobba, die Chefredakteurin der RP Duisburg hatte ein Date gemacht. Dienstlich, versteht sich. Also morgens. "Wir treffen uns um 9 Uhr an der Haltestelle Watereck!" ordnete Ihr Partner an. 

Straßenbahn

 

Foto: Oxensepp / Wikipedia

Und jetzt raten Sie mal, mit wem die Journalistin sich da für eine Bötchenfahrt, sorry: Straßenbahnfahrt (kann man ja auch durcheinander kommen: Watereck) da verabredet hatte. Verabredet ist gut: "Wir treffen uns um 9 Uhr an der Haltestelle Watereck!" bestimmte der Mann. Fragen wir also besser so: auf wen hat sich Hildegard Chudobba da wohl eingelassen?
Wer fährt denn schon Straßenbahn? Klar: die Leute mit einem A am Anfang. Nämlich: Arbeitslose, Arme, Alte, Auszubildende, Alleinerziehende … Auf jeden Fall haben wir

es hier mit einem Profi zu tun. Straßenbahn fahren – allein schon an die Fahrkarte zu kommen, und die dann auch noch richtig zu entwerten. 1968 – da konnte ich das natürlich, da war ich stolz, zumal das die Alten damals nicht konnten. CDU wählen – klar, das ging. Aber wie man so eine Fahrkarte in den Automaten steckt … Na ja, alte Geschichten.

Bei Frau Chudobbas Begleiter muss es sich wohl um einen echten Straßenbahn-Profi handeln; denn das mit der Fahrkarte hatte er voll im Griff: "selbst gelöst, war gar nicht schwer …“
Ich bin fast sicher: auch hier handelt es sich um jemanden mit dem Anfangsbuchstaben A. – Was sagt er noch?
„… auch wenn ich schon Ewigkeiten nicht mehr Straßenbahn gefahren bin".

Na klar, ich weiß natürlich, wer sich früh morgens mit Hildegard Chudobba getroffen hatte. Und richtig ist auch: Anfangsbuchstabe A. – Ein Tipp aus der Rheinischen Post: Aufgewachsen in dem Bezirk, kann der 54-Jährige zu fast jedem Haus an der Strecke etwas erzählen. Die wird sich doch wohl nicht mit einem … - nee, kann nicht, eine Chefredakteurin wüsste so etwas ja.
In der anfangs noch leeren Bahn ist inzwischen kein Sitzplatz mehr frei.
Ob der 54-jährige Begleiter die Gelegenheit dazu nutzt, einer älteren Dame oder einem Behinderten seinen Sitzplatz anzubieten? – Moment, ich schaue mal gerade auf das Pressefoto …
… Also, das heißt jetzt nichts. Gar nichts! Woher wollen sie denn bitteschön wissen, dass eine ältere Dame oder ein Behinderter oder auch umgekehrt zugestiegen ist?! Und außerdem, wenn Sie immer noch nicht wissen sollten, wer der Herr mit A am Anfang ist, will ich Ihnen jetzt einmal etwas sagen: der Mann ist bei der Arbeit. Der redet. Der macht Wahlkampf. Straßenbahnwahlkampf. Na, dämmert es jetzt, wer der Mann mit A am Anfang ist? Richtig:
 

Sauerland fährt Straßenbahn

In der anfangs noch leeren Bahn ist inzwischen kein Sitzplatz mehr frei. Die Umstehenden hören zu, als Sauerland die vielen Projekte aufzählt, in die die Mittel aus dem Konjunkturprogramm II im Bezirk Hamborn fließen.
Straßenbahnwahlkampf, die echte Alternative! Der Redner sitzt, das Volk steht. Warum haben die das nur jahrzehntelang alle falsch herum gemacht?! Und? Sind die dabei voran gekommen? – Mal ehrlich! Aber A. fährt Straßenbahn. Damit es für alle voran geht. Und A. erzählt, wie er das Konjunkturprogramm II gemacht hat. Ebenfalls, damit – ja näh, iss klar …

Ein Herr erkennt den Oberbürgermeister, guckt dann nach draußen auf das Wahlplakat und schüttelt ungläubig den Kopf. Ein weiblicher Fahrgast wirkt ebenfalls irritiert …
… A. hat also im Straßenbahnwahlkampf noch eine Menge Überzeugungsarbeit zu leisten. Alle sind noch so furchtbar irritiert. Jahrzehntelange rote Herrschaft, die Parteibonzen immer im Auto, die Straßenbahnen von Atomstrom angetrieben, die Pferde also fast vollständig aus dem Stadtbild verschwunden. Die schlimmsten Folgen der sozialistischen Tyrannei sind im geistig-moralischen Bereich zu verorten. Das können selbst wir (Schlusssatz Chudobba: Wir, das sind CDU, Grüne und er selbst mit seinen Dezernenten) nicht in nur fünf Jahren wegräumen. Immerhin hat A. erste Erfolge vorzuweisen: hier ein Geschäft für Braut- und Abendmode in prächtiger Blüte. Geben Sie A. noch eine Chance!

Sonst sind Sie für mich ein armer Junge, zu weich für den Straßenkampf – gehen Sie singen:

Street Fighting Man

Evrywhere I hear the sound of marching, charging feet, boy
cause summers here and the time is right for fighting in the street, boy
But what can a poor boy do
Except to sing for a rock n roll band
cause in sleepy Duisburg town
Theres just no place for a street fighting man
No

Werner Jurga, 16.08.2009

 

Alle Zitate: Hildegard Chudobba. Eine Stunde Stadt-Politik, in: RP Duisburg, 15.08.2009

Songtext street fighting man: Jagger / Richards

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