Quicklebendig trotz Kollaps

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Globale Finanzkrise, Schrecken und Entsetzen: eine Horrormeldung jagt die andere. Da freut man sich direkt, wenn es mal eine gute Nachricht gibt, wenn mal ein großes deutsches Unternehmen durch grundsolides Wirtschaften auffällt anstatt durch irgendwelche Skandalmeldungen. Die gute Nachricht:

Die Deutsche Telekom AG

sieht für sich keine Gefahren durch die Finanzkrise heraufziehen. Wenn doch irgendetwas schief laufen sollte, äh: in eine Schieflage geraten sollte, wird sich Rene Obermann bestimmt wieder entschuldigen.

Das war ja schon interessant zu erfahren, wer so alles ein D1-Handy hat, unter anderem Fernsehmoderatoren (auch Maybrit Illner?) und Spitzenpolitiker (auch Angela Merkel?).
Ihr Unternehmen scheint im Gegensatz zu Herrn Obermanns Power-Konzern allerdings sehr wohl von der globalen Finanzkrise betroffen zu sein. Also erklärte sich unser aller Kanzlerin gestern Nachmittag zu den Sorgen und Nöten der Deutschland AG. Ich lasse die Anführzeichen hier mal weg; denn bis vor Kurzem konnte man allein mit einer solchen Wortwahl belegen, dass man die Zeichen der modernen Zeiten verstanden hat. Ja, die Deutschland AG. Heute darf man das bestimmt gar nicht mehr sagen – ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Finanzkrise hierzulande angekommen ist. Und das, bevor wir alle unrentablen (also unter 25 %) Bestandteile der AG haben abstoßen können.
Eine Regierungserklärung – immerhin! Bei uns vor Ort, also im AG-Segment Duisburg ist es erst am nächsten Montag so weit. Da steht die Haushaltssatzung auf der

Tagesordnung des Stadtrates

und Sie sind herzlich dazu eingeladen. So lange werde ich wohl warten müssen, schätze ich, bis der Vorstandsvorsitzende der örtlichen Verwaltung, nämlich unser aller OB Sauerland meinen Offenen Brief beantwortet. Ist ja auch richtig so: zuerst das Parlament. Nur: Wissen müssen wir das schon alles! – Und damit zurück nach Berlin …

Als die Vorstandsvorsitzende der Bundesverwaltung, unser aller Kanzlerin gestern gegen halb sechs „ihrer festen Überzeugung, die Soziale Marktwirtschaft (sei) die beste aller Gesellschaftsordnungen“ zu unser aller Überraschung Ausdruck verlieh, musste sie den hämischen Zwischenruf einer Abgeordneten hinnehmen: „Das sehen wir ja gerade!“ Ich muss annehmen, dass es sich bei der Dame mit diesem beißenden Sarkasmus um eine Genossin der Linksfraktion gehandelt hat.
Damit hat sie – vermutlich unbeabsichtigt – ein Beispiel für ein Phänomen geliefert, das Uwe Jean Heuser in der „Zeit“ vom 01.10.2008 so beschrieben hat:

Sie tun, als ob der deutsche ökonomische Aufbruch der vergangenen Jahre nichts weiter war als die Verschwörung des Finanzkapitals gegen den kleinen Mann. Durch ihre Worte schimmert Triumph gegenüber den Managern und ihren Apologeten sowie Schadenfreude gegenüber Amerika, als ob der jetzige Zusammenbruch nicht vor allem den Ärmeren und den Arbeitslosen zusetzen wird, um die es doch angeblich immer geht. Hier feiert eine Ideologie ihren scheinbaren Sieg über die andere, mehr nicht …

Heusers Aufsatz mit dem Titel Wie der Linksruck uns nutzen kann kommt daher im Gewande der Ideologiekritik:

In der ökonomischen Debatte hat sich Deutschland bisher nicht als besonders differenzierungsfähig erwiesen. Und die vielen pauschalen Reaktionen auf die Finanzkrise sind auch nicht gerade ermutigend.

„Die Zeit“ sieht alles recht differenziert, fast schon dialektisch, wenn sie der Hoffnung Ausdruck verleiht, „der Linksruck“ begünstige eine modifizierte Form des Kapitalismus. Ganz differenziert, versteht sich.
Immerhin, da weiß man, wo man dran ist. Was sich die linke Abgeordnete bei ihrem geistreichen Zwischenruf gedacht haben mag, bleibt allerdings rätselhaft. Vielleicht hat Heuser ja Recht, und es hat ihr einfach nur mal Spaß gemacht, den „scheinbaren Sieg“ zu feiern. Ein bisschen Spaß muss sein …
Hilfreicher wäre jedoch aufmerksame und kritische Oppositionsarbeit gewesen, wie sie die Linksfraktion im Duisburger Stadtrat zu beabsichtigen scheint. Für nächsten Montag liegt jedenfalls vor:

Vorlage Anfrage der Fraktion DIE LINKE.
Einsatz von Derivaten für das Zinsmanagement bei Kassenkrediten (DS 08-0290/1)

Zurück nach Berlin. Frau Merkel erwähnte noch – gewiss in enger Absprache mit ihrem Finanzminister:

„Ein Abrücken von der Konsolidierungspolitik
wäre gerade jetzt das völlig falsche Signal.“

Na dann: viel Spaß!
Bis zum letzten Wochenende hatten viele den Eindruck (der sich bei der zitierten Zwischenruferin bis gestern wohl immer noch nicht verflüchtigen konnte), die Finanzkrise treffe zunächst einmal diejenigen, die es „verdient haben“, dann eventuell noch den ein oder anderen unaufmerksamen Sparer. Nun wurde gestern gemeldet, dass bei Opel erst einmal ein paar Wochen Pause ist, dass bei Ford - in Saarlouis, seit 1961 (wieder) deutsch - erst einmal alle, die nicht zur „Stammbelegschaft“ gehören, gefeuert worden sind, und dass sich Auto-Wissenschaftler Ferdinand Dudenhöffer mit der Prognose zitieren lässt:

"Es wird alle treffen"

Die größte Bank der Welt, die Bank of America, meldet einen dramatischen Gewinneinbruch; der IWF schätzt die bislang durch die Finanzkrise angehäuften Verluste auf 1400 Milliarden.
Okay, ich will sachlich bleiben: Dollar, nicht Euro. Gott sei Dank! Und ich will auch keineswegs den Eindruck erwecken, dass ich der Auffassung sei, diesmal sei es aber wirklich so weit, dass dem Kapitalismus das Totenglöcklein läute.
Er hat - mal wieder, das gehört dazu - einen Kollaps. Diesmal, gerade weil es zu lange zu gut gelaufen ist, einen besonders schweren - mal wieder. Deshalb hat er (der Kapitalismus) diesmal eine besonders lang andauernde, sehr stark einschneidende Krise. Und danach, wie von unsichtbarer Hand geheilt, ist er wieder quicklebendig. Er, der Kapitalismus. Bedauerlicherweise haben wir, bedauerlicherweise wir alle, damit jetzt einige Jahre zu tun.

Sie sehen mir nach, dass ich mich nicht in der Lage sehe, genau zu prognostizieren, wie heftig es kommen wird. Begnügen Sie sich einfach damit zu wissen (denn die Prognose stammt ja nicht allein von mir): so heftig wie dieses Mal hat es noch keiner von uns erlebt. Keiner von uns, der / die ohne Visum nach Israel einreisen darf. Mindestens.

Werner Jurga, 08.10.2008

 

 

Albert Einstein:

"Ich bin davon überzeugt, dass es nur einen Weg gibt, diese Übel [des Kapitalismus] loszuwerden, nämlich den, ein sozialistisches Wirtschaftssystem zu etablieren, begleitet von einem Bildungssystem, das sich an sozialen Zielsetzungen orientiert." - in der Zeitschrift "Monthly Review" Nr. 1, "Why Socialism", Mai 1949 -

(Original engl.: "I am convinced there is only one way to eliminate these grave evils, namely through the establishment of a socialist economy, accompanied by an educational system which would be oriented toward social goals. In such an economy, the means of production are owned by society itself and are utilized in a planned.”

 

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