28.11.2007

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Um es von vorn herein klar zu sagen, und auch deshalb, weil mich der NRW-Ministerpräsident vorgestern Abend zu einer Feierstunde mit Gala-Diner eingeladen hatte: Rüttgers hat völlig Recht. Der Überbietungswettbewerb darum, wer die höchste Altersgrenze vorzuschlagen weiß, hat sofort aufzuhören. Okay, dies ist ein Problem der CDU, deren Mitglied ich nicht bin, nie war und auch nie sein werde. Ich stehe da auch nicht in Verdacht. Aber wer weiß, was man mir in Bezug auf die Senioren alles zutraut?
Dabei bin ich doch, wenn auch noch ein relativ junger Hüpfer, auch schon Rentner. Uns so hieß es für mich gestern Abend, wegen des langen Abends vorgestern und wegen des Themas: Fernsehen. „Menschen bei Maischberger“ war eine sehr gelungene Sendung. Wer sie verpasst hat, aber doch sehen möchte, kann dies hier nachholen.

Generation 80 +
DIE WAHRHEIT ÃœBER DAS ALTER

Als einzige Nicht-Prominente war Helga Schittek da. Sie arbeitet als Honorarkraft, bietet Töpferkurse und anderes an – für Kinder und Jugendliche. Mindestens einmal, meistens aber zweimal täglich geht sie 126 Treppenstufen runter und wieder rauf; das ist nämlich die einzige Möglichkeit, ihr Haus an der Elbe in Hamburg zu erreichen. Frau Schittek ist 90 Jahre alt.
Dagegen ist die bekannte Brecht-Interpretin Gisela May, zuletzt an der Seite von Evelyn Hamman in „Adelheid und ihre Mörder“ einem Millionen-Publikum bekannt geworden, mit ihren popeligen 83 Jahren noch ein junger Hüpfer, worauf wiederholt Margarete Mitscherlich hingewiesen hat. Selbstverständlich arbeitet - wie Frau May - auch die prominente Psychoanalytikerin „noch“. Sie ist mit ihren 90 Jahren nicht mehr ganz so fit wie ihre Altersgenossin Schittek: die Beine wollen nicht mehr so. Aber geistig ist Frau Mitscherlich so was von klar, dass ich – bei allem Respekt vor dem Alter – direkt Lust gehabt hätte, mit ihr zu streiten. Ich bin sicher, ich hätte verloren.

Mit einem Video-Clip eingespielt wurden noch „The Zimmers“, die mit dem The-Who-Evergreen „My Generation“ die britischen Charts stürmten. Kein Zutritt unter 80, der Sänger ist 100, und eine Gitarre musste natürlich auch zu Schrott gekloppt werden. Doch der Star des Abends war

Johannes Heesters

Heesters.23112007662687

Er ist mit seiner 45 Jahre jüngeren Frau Simone Rethel erschienen; und die beiden (siehe Foto) erzählten eine Menge vernünftiger Sachen. Was sie sich alles habe anhören müssen, so einen Opa zu heiraten, schilderte Frau Rethel-Heesters, die sehr engagiert gegen Altersdiskriminierung kämpft. Dass ihr Mann – jetzt 103 - „noch“ auf der Bühne stehe sei unwürdig, mache er sich doch als „Tanzbär“ lächerlich. Dabei ist Johannes Heesters, der – wie mein Lieblingsonkel „Jopie“ genannt wird – top fit – natürlich „für sein Alter“. Nur die Augen wollen nicht mehr so: Jopie ist so gut wie blind. Zweimal pro Woche geht er ins Fitness-Studio, trainiert dort hart, und ist dort sehr beliebt bei den Therapeuten, motiviert er doch die anderen, also jüngeren „Alten“ ganz enorm.
Aber Jopie raucht. Was die Tagesration angeht, scheint er etwas geflunkert zu haben. Jedenfalls kann Heesters sich über die sich ausbreitende Diskriminierung der Raucher aufregen. Da kann ich ihm folgen.
Als er so weit geht, all diese Restriktionen erinnerten ihn an die Zeit damals, fügt er schnell hinzu: „nicht ganz so schlimm wie damals“.

Eingespielt wurde aus der UFA-Revue „immer nur Du“ sein Solo „Man müsste Klavier spielen können“. Das war 1941; der junge Käskopp verbreitete mächtig gute Laune. Sandra Maischberger erkundigte sich direkt nach der Einspielung nach der damaligen „Eleganz“, dem damaligen „Stil“. Womit sie freilich Heesters Entertainment meint. Nein, nein, sie hat die Sendung schon sehr gut gemacht. An dieser Stelle, etwa zu Beginn, als noch gar nicht über das Alter gesprochen wurde, wäre Jopie bei einer kritischen Frage gewiss sofort ausgeflippt. Etwa eine halbe Stunde später kam sie dann doch auf seinen Karrierebeginn in der Nazizeit zu sprechen.
An anderer Stelle sagte Heesters einmal: „Ich habe es nicht für Herrn Hitler getan, sondern für meine Karriere.“
1934 hatte er seine Heimat verlassen und durfte seither dort nicht mehr auftreten. Jetzt, wo absehbar auch sein Leben sich dem Ende entgegen neigt, haben auch die Holländer ein Einsehen. Die großen Zeitungen des Landes haben ihn rehabilitiert. Am 10.02.2008 kann er in seiner Geburtsstadt Amersfort auf der Bühne stehen. Es sei nämlich nun bewiesen, und das sei der Grund für den Meinungsumschwung, dass er zwar ein KZ besucht habe, aber nicht den SS-Schergen vorgesungen habe. Man fragt sich, warum sonst die SS ihn dort mal gucken ließ.
Als Heesters eine Bemerkung von Frau Maischberger so aufgefasst hatte, als habe er dort gesungen, wurde er richtig laut und stampfte seinen Gehstock auf den Boden: „Das ist eine Lüge!“

Seien wir ehrlich: Jopie hätte, auch wenn er gewollt hätte, gewiss niemanden retten können. Die Angelegenheit liegt über 60 Jahre zurück. Jopie ist kein Nazi und war wohl auch nie einer. Im Ernst: ich freue mich, dass er zuhause singen darf!

Werner Jurga, 28.11.2007

 

P.S.:  Auf die Frage, warum er mit Heesters so nachsichtig sei, mit von Karajan aber nicht, antwortete einst ein niederländischer Schriftsteller: „weil von Karajan intelligent war.“

 

[Jurga] [Home] [März 2010] [Marxloh stellt sich quer] [Februar 2010] [Januar 2010] [2009] [2008] [2007] [Oldies] [2007 / 2008] [Tagebuch 2007] [Texte Dez. 2007] [Texte Nov. 2007] [Texte Okt. 2007] [Texte Sept. 2007] [Texte Aug. 2007] [Kontakt]