13.12.2007

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Wir sind der Westen, hieß es hier gestern in Anspielung auf das Internet-Portal der WAZ-Gruppe -  um zu dem ernüchternden Ergebnis zu kommen: Im Westen nichts Neues.
Damit war jedoch nicht gemeint, dass hier bei uns nichts los sei. Der Titel des Remarques – Klassikers wurde vielmehr gewählt, weil einmal laut „Ey, Peace, Leute!“ gerufen werden musste. Damit war jedoch die im Großen und Ganzen recht friedliebende Bevölkerung des Ruhrgebiets oder gar Duisburgs gemeint. Nein, es ging um die angespannten Nervenkostüme der politischen Spitzen in unserem schönen Duisburg.
Die Menschen im Ruhrgebiet sind nämlich ausgesprochen peacige Leute. Obwohl hier die höchsten Werte für Einwanderung zu verzeichnen sind, erzielen gleichzeitig so wenig peacige Untugenden wie Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus die niedrigsten, also besten Werte. Und dies konstant über Jahre hinweg! Und auch hier ist, na klar, der Westen vom Westen, also Duisburg, ganz klar vorn, äh: also hinten – will heißen: am tolerantesten und am weltoffensten von allen.
Stellt sich die Frage: gibt es denn gar keinen

Rassismus in Duisburg?

Aber natürlich gibt es den auch bei uns; Rassismus gibt es überall auf der Welt. Das Gleiche gilt für den Antisemitismus. Etwas anders verhält es sich mit der Ausländerfeindlichkeit; sie ist eigentlich nur dort anzutreffen, wo Eingeborene gemeinsam leben müssen mit Ausländern bzw. Menschen ausländischer Abstammung (neuer Sammelbegriff: Migranten; war gut gemeint).
Uneigentlich muss hinzugefügt werden, dass hier keine Proportionalität vorliegt. Also nicht: wo viele Migranten leben, wäre die Ausländerfeindlichkeit verbreiteter als dort, wo wenige leben. Vergleichen wir bspw. das Ruhrgebiet mit den fünf neuen Bundesländern (also ohne Ost-Berlin). Bei etwa gleicher Einwohnerzahl leben hier wesentlich mehr Migranten als drüben, wo jedoch die Ausländerfeindlichkeit deutlich verbreiteter und militanter ausgeprägt ist.
Das ist eine Feststellung ... und keine Tendenzaussage gegen den deutschen Osten. Denn erstens wäre ja auch dies irgendwie ausländerfeindlich, und zweitens ist ja auch im Westen schon so manches vorgefallen. Ja, auch hier gab und gibt es Ausländerfeindlichkeit, seitdem die ersten Gastarbeiter sich zu freundlichen Arbeits- und Wohnbedingungen nach Strich und Faden ausbeuten lassen durften. Nein, das waren nicht die Türken. Die kamen erst ein paar Jahre später zu dem Vergnügen. Ich habe als Kind die Augen und Ohren ziemlich weit aufgehalten und registriert, wie meine Nachbarn diese devoten armen Schweine behandelt hatten. Haben die womöglich ihren Kindern gepetzt, und die wieder ihren Kindern, was ein Grund dafür sein könnte, dass manche (!) Türken heute mitunter etwas eigenartig auftreten.
Antisemitismus konnte ich nicht beobachten. Ich hörte nur, das mit den Juden sei ganz früher „ein echter Fehler“ gewesen. Außerdem gehörten wir jetzt zum – da haben wir wieder dieses wohlklingende Wort – Westen; und Israel nun einmal auch. 1967 – im Sechs-Tage-Krieg bekamen die Araber mit ihren sowjetischen Waffen mal so richtig gezeigt, was Blitzkrieg bedeutet. Dieses hübsche deutsche Wort wird erst gar nicht in andere Sprachen übersetzt. Sechs Tage, Territorium um ein Vielfaches vergrößert, und das mit unseren Waffen! Das liegt jetzt 40 Jahre zurück. Damals war es erst 22 Jahre her, dass meine Nachbarn, die ich mit Onkel anzureden hatte, allein deshalb nicht mehr Mitglieder der SA waren, weil es sie nicht mehr gab. Sie lagen sich vor Freude jubelnd in den Armen. „Kannze ma sehn, der Jude!“ kreischten sie mit Freudentränen in den Augen. Nein, Antisemitismus gab es eigentlich nicht. Uneigentlich, muss hinzugefügt werden, wiesen die Umfragewerte damals wie heute ganz andere Daten aus. Etwa der Hälfte aller Deutschen wäre es nicht Recht, Juden als Nachbarn zu haben. Das haben die dem Interviewer ganz unbefangen, ganz offen gesagt. Traut sich ja nicht jeder ...
Rassismus – nun ja, die Gastarbeiter kamen ja aus den mediterranen Ländern. Okay, da gab es mal einen derben Spruch. Türkenwitze waren eine Zeitlang richtig modern. Und Schwarze - damals Neger genannt, es gab die heutige Sprachregelung noch nicht – gab es halt weniger auf der Straße als in den alten Geschichten. Als die Amis einmarschierten, die hatten nämlich gewonnen, was insofern komisch war, weil die zu blöde waren, um „richtig“ zu marschieren, also die Neger. Dass Afrikaner über die Straße liefen, war in den 60ern eine echte Ausnahmeerscheinung. Es gab auch keine rassistischen Sprüche; man ging einfach rein, machte die Tür zu und stellte sich vorsichtig hinter die Gardine, bis sich die Gefahr verzogen hatte.

Aber, noch einmal: wir haben, was das betrifft, die besten, also niedrigsten Umfragewerte im Westen, noch besser im Westen vom Westen. Aber hier wiederum im Westen, ich habe bereits gestern damit geschlossen, hat diese Woche die Erde gebebt. In Homberg. Das lag aber nicht nur an der Tiefebene oder am Bergbau, wie der link nahe legen könnte. In einigen Wohngebieten Hombergs sind jetzt in recht großer Zahl afrikanische Familien zugezogen. In einem solchen Fall beginnt es ebenfalls zu knirschen. Einige verlieren schon den Boden unter den Füßen. Und jetzt raten Sie mal: in welchen Köpfen vorzugsweise geht es heute noch mitunter so zu wie in den oben angeführten Flachschädeln der 60er Jahre? Na ...
Ein wenig Geduld, die Auflösung kommt morgen.

Werner Jurga, 13.12.2007 

 

[Jurga] [Home] [März 2010] [Marxloh stellt sich quer] [Februar 2010] [Januar 2010] [2009] [2008] [2007] [Oldies] [2007 / 2008] [Tagebuch 2007] [Texte Dez. 2007] [Texte Nov. 2007] [Texte Okt. 2007] [Texte Sept. 2007] [Texte Aug. 2007] [Kontakt]