Jahresrückblick? Weihnachtsrückblick!

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

 

Ein altes Jahr geht, ein neues Jahr kommt. So etwas soll es geben; die Sache ist also an sich nicht der Rede wert. Andererseits: die globale Finanzkrise, die Schweinegrippe, die Klimakatastrophe …
Dies alles – und bestimmt noch viel mehr - in Rechnung gestellt, läuft der Umstand, dass es aktuell so aussieht, als käme tatsächlich noch einmal ein neues Jahr, unter „Top News“. Das ist ja wirklich ein Ding: wir leben immer noch, die meisten Schweine auch, und sogar der Kapitalismus. Klasse, dann kann die Agenda 2010 ja starten!

Lohnt es sich da überhaupt noch zurückzublicken? Zumal jetzt noch, da schon allerorten Jahresrückblicke Ihre Aufmerksamkeit derart in Anspruch genommen hatten, dass Sie vielleicht erstens gar keine Lust auf eine weitere Rückschau mehr haben, und Sie sich zweitens möglicherweise schon einen groben Überblick über die letzten zwölf Monate verschaffen konnten.
Aber haben Sie auch das mitbekommen? 2009 war ein Superwahljahr. Das war spannend! Wahnsinnig spannend. Es gab nämlich nicht nur die drei Wahlen in Duisburg, also NRW. In vielen Ländern fanden auch Landtagswahlen statt. Wie gut, dass die Welt 2009 doch noch nicht untergegangen ist! Da dürfen wir im Mai 2010 nämlich – schon allein aus Gerechtigkeitsgründen – auch einmal landtagswählen.

Um es kurz zu machen: Fast immer hatten CDU und FDP die Mehrheit. Und schließlich auch bei der Bundestagswahl. Warum ergaben sich „bürgerliche Mehrheiten“? Hat die CDU Stimmen gewonnen? Nein, eher im Gegenteil; dafür hat aber die FDP deutlich zugelegt. Warum wählen die Leute in der schweren Finanzkrise die FDP?
Was ist nicht alles schon in die Wahlergebnisse hinein interpretiert worden?! Zum Beispiel: in Zeiten der Krise suchen Mensch den Halt bei alten Gewissheiten, also bei den Konservativen. Mag sein, geht aber irgendwie an der Sache vorbei. Denn die Union wurde ja gar nicht stärker.
Die FDP sehr wohl; Grüne und Linke aber auch. Die kleinen Parteien sind keine Kleinen mehr. Die FDP ist nach wie vor auf Platz Drei; doch – seien wir ehrlich - Grüne und Linke sind kräftiger gewachsen als die FDP. Die „bürgerlichen Mehrheiten“ sind folglich deshalb zustande gekommen, weil die SPD dramatisch abgefallen ist.
Die Menschen fühlen, die Parteien präsentieren sich sozialdemokratisch. Sogar die FDP hat sich bis zur Wahl weichgespült gegeben. Die SPD jedoch ist „unten durch“.
So ergab es sich, dass es zu einem Führungswechsel in der Partei kam. Okay, das gab es in den letzten Jahrzehnten ständig. Diesmal jedoch wird eine grundlegende Erneuerung in Aussicht gestellt. Stand da der Stern von Bethlehem über der Dresdner Messehalle? Wurde ein neuer Messias geboren? Man wird sehen; die Agenda 2010 kann starten!

Dabei hätte für die Sozialdemokraten schon 2009 alles so schön werden können. In den USA hatte der Erlöser seinen Job angetreten. Ja, Obama ist erst seit Anfang dieses Jahres US-Präsident. Richtig, gewählt wurde er bereits Ende 2008. Die Zeitspanne von der Wahl bis zur Amtseinführung war bei Obama auch kürzer als bei den Oberbürgermeistern und Stadträten in NRW. Bei denen kam halt bloß kein Jahreswechsel dazwischen.
Die SPD hatte keinen „deutschen Obama“. Müntefering weist vom Typ her nicht allzu große Ähnlichkeiten mit Obama auf. Aber er hatte Recht damit, den neuen US-Präsidenten als Sozialdemokraten einzustufen. Verständlicherweise ist Obama kein deutscher Sozialdemokrat, was beim Thema Afghanistan auch dem letzten deutlich werden dürfte.
Wer jedoch meint, Obama sei nur wegen seines Charismas, nicht aber wegen seiner politischen Überzeugungen gewählt worden, verkennt die Situation in Amerika. Das Land ist politisch tief gespalten, und die Linke hatte die Mehrheit.

So konnte die Finanzkrise, die sich zu einer Weltwirtschaftskrise ausgeweitet hatte, (einstweilen) unter Kontrolle gehalten werden. Sie verursachte gewaltige Schäden; aber es wurde nicht so furchtbar wie befürchtet.
Verstaatlichungen, staatliche Gelder in bislang unbekanntem Ausmaß und eine beispiellose internationale Kooperation konnten den großen Crash, die „Kernschmelze“ verhindern. Auch die deutsche Bundesregierung hatte die Krise ordentlich gemanagt. Sie stand aber nicht an der Spitze der Bewegung, sondern fungierte eher als Bremser.
Noch ist die Kuh nicht vom Eis. Es mehren sich die Hinweise, dass die Konjunktur sich wieder drehen könnte. Doch selbst wenn es bei einem Wachstum von ein bis zwei Prozent bleiben sollte, wird es Jahre dauern, bis das Vorkrisenniveau wieder erreicht sein wird.

Eine deutsche Besonderheit ist die Kurzarbeiterregelung. Nur durch sie konnte ein explosionsartiges Ansteigen der Arbeitslosigkeit verhindert werden. Davon hat Duisburg in besonderer Weise profitiert. Eine Duisburger Besonderheit ist nämlich die hohe Abhängigkeit von Branchen wie Stahl, Logistik, Autozulieferer u.ä.
Im Sommer fand ich, es sei
höchste Zeit für einen Aufschrei. Den hat es so zwar noch nicht gegeben; doch die Hilferufe mehren sich. Notwendig ist nach wie vor gemeinsames „Schreien“ und Handeln aller politischen Akteure. Auch wenn die Kurzarbeiterregelung bis Ende 2010 verlängert wurde, sie wird nicht ewig tragen. Weder die Betroffenen und ihre Familien noch die Stadt und die Region können darauf ihre Zukunft aufbauen. Einen – nicht unwahrscheinlichen - weiteren konjunkturellen Einbruch könnte keine Kurzarbeit der Welt auffangen.

Immerhin, das muss auch einmal gesagt werden: die Wirtschaftskrise schont die Atmosphäre. Aus Deutschlands Schloten ist 2009 fast neun Prozent weniger CO2 entwichen als im Vorjahr. Das ist jedoch der Wirtschaftskrise zu verdanken, und nicht dem Energiesparen.
Denn: in der Krise sinkt der Wille zum Umweltschutz. Schlimm, so etwas! Und was haben wir nicht alle mitgefiebert, mit der Weltklimakonferenz in Kopenhagen vom 7. bis 18. Dezember! Alles vergebens.
Gott sei Dank sickert tags darauf durch, dass Michael Schumacher wieder Formel 1 fahren wird. Er
selbst bestätigt dies am 23. Dezember. Weihnachten gerettet, Kopenhagen-Scheitern vergessen, wir können wieder mitfiebern. Anderes Thema, gleiche Hitze. Deutschland freut sich über Schumi. Weihnachten also doch das Fest der Freude.
Doch auch hier ist, wie immer hierzulande, die Freude nicht ganz ungetrübt. Traf Schumi eine Fehlentscheidung? Wird er sein eigenes Denkmal zerstören? Auch hier sagen viele: „Es wird böse enden!“

Am ersten Weihnachtstag lief im Fernsehen zur Hauptsendezeit der Horror-Klassiker „der weiße Hai“. Danach konnten wir wählen zwischen den Actionfilmen „Tödliche Weihnachten“ oder „Stirb langsam 2“, dem SF-Horror „Alien 3“oder dem Actionthriller „Lethal Weapon 4“. Am zweiten Weihnachtstag war ich es leid mit dem Zappen. Nach „Bauer sucht Frau“ bin ich den ganzen Abend auf RTL kleben geblieben. Erst „King Kong“, dann „Apokalypse Eis – der Tag, an dem die Welt erfriert“. Echter Quatsch. Hätte ich doch besser mal ein anderes Programm eingeschaltet. Es lief wahrlich genug Horror und SF-Action und so zur gleichen Zeit. Apokalypse Eis. Lesen die eigentlich keine Zeitung?!
Na egal, die Agenda 2010 kann starten. Hoffentlich geht die Welt nicht unter. Das wäre doch ziemlich schade. Gerade auch für die Bauern: der ein oder andere von denen hat nämlich schon eine Frau gefunden.

Werner Jurga, 27.12.2009

 

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