Was heißt hier überhaupt Kultur?

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Ein Oberst ist ein Offizier. Ein Freiherr ist so etwas wie ein Baron. Politik ist ein schmutziges Geschäft. Und Duisburg – nur mal so als Beispiel – ist eine wunderschöne Stadt. Genug der Beispiele! Jetzt sind Sie dran. Die Preisfrage: was ist Kultur?
Wie bitte?! Das sei belanglos. Also: wenn Sie so schnell antworten, mache ich das auch. Falsch. Genau, Ihre Antwort ist falsch. Kultur ist nämlich alles Andere als belanglos, und deshalb ist es auch die Frage nicht.
Zugegeben, wenn man so drüber nachdenkt: es ist nicht ganz so einfach. Sonst müssten wir in Duisburg ja auch nicht drüber diskutieren. Kapito ?

Ja, so sind wir Duisburger. Wir führen so eine Art Kulturdiskussion und achten dabei freilich auf eine gepflegte Diskussionskultur. Sie merken schon: am besten benutzt man das Wort „Kultur“ zusammengesetzt mit einem anderen Hauptwort. Egal ob vorn oder hinten, also „Kulturdiskussion“ oder „Diskussionskultur“.
Vorgestern tagte der Kulturausschuss (das ist ein schönes Wort!), und die SPD versuchte, “eine große Diskussion über Einsparungen im Kulturbereich (auch schön, W.J.) anzustoßen“, schreibt die WAZ Duisburg. Dies sei ihr aber nicht gelungen. Tja! Warum fragt mich denn keiner?

Auf der Tagesordnung stand nämlich ein Kulturevent; denn im kommenden Jahr steht die Eventkultur ganz weit oben auf der Liste. Da ist das Ruhrgebiet nämlich Kulturhauptstadt, und wir wissen leider immer noch nicht so ganz genau, was „Kultur“ eigentlich ist.
Wir bleiben auf der Spur mit den zusammengesetzten Hauptwörtern. Das ist eine heiße Fährte. Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, bei der Loveparade.
Also, der Kulturdezernent, der war auch dabei – nein, nicht bei der Loveparade. Die ist doch erst nächstes Jahr. Im Sommer. Wahrscheinlich am 24. Juli. Jetzt ist es doch dafür viel zu kalt. Sie wissen schon; die haben doch kaum etwas an, die Loveparader.
Nein, im Kulturausschuss war er, der Kulturdezernent. Und dort hat er auch etwas gesagt, nur eben nicht zur Loveparade. Und das, obwohl der auch Kulturmanager ist. Allerdings des Jahres 2009, und wir reden ja über 2010, vielleicht deshalb. Auch deshalb. Denn er durfte da auch nichts sagen.
Das hat dann der Rechtsdezernent gemacht. Der hat zwar eigentlich von Kultur nicht ganz so viel Ahnung. Dafür aber von Love. Erzählt man sich jedenfalls so. Wobei: gegen die Loveparade hat er auch schon einmal etwas gesagt. Das hat sich aber inzwischen gelegt. Ja, das mit der Love wohl auch. Sie Quatschkopf! Mit dem gegen die Loveparade sein, meinte ich natürlich. Die seien nämlich „sehr professionell“, hat er gesagt, die Loveparader. Na dann … 
Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, bei den Grünen. Die haben nämlich gesagt, die Loveparade sei sehr wohl Kultur. Die Technokultur sei schon ziemlich lange Jugendkultur.
Ich weiß zwar wirklich nicht so genau, was Kultur eigentlich ist. Ich bin nämlich ein Kulturbanause. Aber klar, da haben sie recht, die Grünen. Technokultur ist Kultur, muss ja. Vielleicht sogar Jugendkultur, obwohl …
Auf jeden Fall gehört die Loveparade nicht mehr zur Subkultur – voll kommerziell geworden und so. Eher schon zur Massenkultur. Und was hat der Kulturdezernent gesagt? Nein, nicht im Kulturausschuss, sondern der Zeitung? Der hat gesagt, das sei überhaupt keine Kultur. Das muss man sich einmal vorstellen!

Blödsinn. Na klar ist das Kultur. Stellen Sie sich doch nur mal vor, da kommen am 24. Juli 2010 ein paar Leute von der Université de Ouagadougou nach Duisburg. Kultursoziologen, Kulturpolitiker, Kulturschaffende, Kulturanthropologen. Was weiß ich? So Leute eben, ist mir doch egal. Und dann sehen die sich diesen Kulturevent und die ganze Eventkultur einfach so an. Da müssen die sich doch sagen: „Tja, das ist hier so deren Kultur. Machen wir mal eine Fallstudie, ein interkulturelles Projekt und so, den ganzen Kram. Und irgendwie etwas mit Entwicklungshilfe.“
Das sagen die sich natürlich auf Französisch. Ob die das in dieser Sprache überhaupt richtig begreifen können? Kultur. Das kennen die doch gar nicht. Das kennen nur wir. Klar, die sagen „la culture“. Aber die meinen damit nicht das, was wir meinen.
Die reden häufig von „civilisation“, die Franzosen, mit den Anthropologen aus Ouagadougou kenne ich mich nicht so aus. Aber Zivilisation, ach Du lieber Himmel! Die reden alle so, die Engländer auch.

Dann doch lieber unsere gute alte Kultur. Wir sind nämlich eine Kulturnation! Das bedeutet: rein theoretisch könnte es zwar noch eine andere geben, aber … - ich meine, kennen Sie eine?
Darum lege ich auch einen gewissen Wert darauf, dass wir hier etwas mehr auf unsere Leitkultur achten sollten. Sonst kann man einfach nicht miteinander auskommen. Sie kennen das ja aus Ihrer Unternehmenskultur. Und übrigens: das Adjektiv vor zusammengesetzten Substantiven bezieht sich auf das zweite Hauptwort. Immer. Auch bei „Kulturtechnik“.
„Keine der Fraktionen zeigte gestern der Loveparade die kalte Schulter“, schrieb die NRZ Duisburg.

Gestern natürlich. Über die Sitzung des Kulturausschusses. Von vorgestern. Überschrift: Was kostet die Liebe? Und das – jetzt mal ganz ehrlich! – finde ich echt kulturlos. Ist meine rein persönliche Meinung.
Ob die Parade-Veranstalter in Duisburg übernachten, wie es im Kulturausschuss hieß, oder nicht, ob dann das Filmforum, die Jugendmusikschule oder sonst was ein wenig besser wirtschaften muss oder gleich ganz dicht gemacht wird: so etwas gehört sich nicht. Man fragt nicht einfach: „Was kostet die Liebe?“
Man zahlt und hält den Mund. Das ist eine Frage der Kultur!

Werner Jurga, 17.12.2009

 

[Jurga] [Home] [März 2010] [Marxloh stellt sich quer] [Februar 2010] [Januar 2010] [2009] [Dezember 2009] [November 2009] [Oktober 2009] [September 2009] [August 2009] [Juli 2009] [Juni 2009] [Mai 2009] [April 2009] [März 2009] [Februar 2009] [Januar 2009] [2008] [2007] [Kontakt]