Vorwärts Rinke

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Sensibler Nicht-Antisemitismus im sozialdemokratischen „Vorwärts“

 

- ein Brief an die Redaktion und den Vorstand der SPD als Herausgeber -

 Im neuen „Vorwärts“-Heft (Ausgabe 5/2007, S. 29) wird ganzseitig ein Aufsatz des Dramatikers und Schriftstellers Moritz Rinke mit dem Titel „Wie lange dauert die Post in Deutschland“* abgedruckt.

Darin äußert sich der Autor über brutale israelische Täter und unschuldige palästinensische Opfer. Für sich genommen ist dies nicht weiter erwähnenswert, zumal Rinke die israelischen Angriffe auf das Flüchtlingslager Jenin im April 2002 als Beleg heranzieht. Keine Frage: das Vorgehen der israelischen Armee war hier entsetzlich hart, und es gab unschuldige Opfer ... bei der Jagd auf Terroristen, wobei Rinke das Wort „Terroristen“ in Anführzeichen** setzt. Dabei fragt er sich, ob man ihm dies „zuhause als Antisemitismus auslegen würde“. Die Frage hingegen, ob sich in Jenin tatsächlich Terroristen - also Mörder und Selbstmordattentäter so ganz ohne Anführ-, vermutlich sogar ohne Führerzeichen – aufgehalten hatten, schien ihm nicht in den Sinn gekommen zu sein.

Dabei stellt sich der Schriftsteller ständig kritische Fragen, keineswegs nur selbstkritische. Dass ihn ein Palästinenser, der die deutsche Nationalmannschaft liebt, umarmt, war Rinke „plötzlich“ unangenehm, konnte aber „die Frage, ob er das in sportlicher Hinsicht meint“ noch im letzten Moment für sich behalten, da sie sich erübrigt habe. Denn die arabische Liebe zur deutschen Mannschaft konnte der Fan damit erklären, dass er noch nie ein WM-Spiel im Stadion gesehen habe. Dieser Kausalzusammenhang, der sich mir auch nach mehrmaligen Lesen nicht erschlossen hat, hat Herrn Rinke unmittelbar eingeleuchtet. Zumal der palästinensische Freund Tränen in den Augen hatte. Wäre ja auch taktlos gewesen, ihm einfach mal so genauer zu befragen.

Da sind „die Herren von der Flughafen-Polizei“ schon von einem ganz anderen Kaliber. Die nämlich „führen Verhöre, wie ich sie bisher nur aus Filmen über die CIA kannte“. Das kann Rinke sogar ganz konkret belegen. Die israelischen Beamten hatten ihn doch tatsächlich gefragt: „What do you intend to read in Jenin?“ Schnüffelstaat! Schreibt Rinke zwar nicht, aber immerhin: „Das hat mich in Deutschland niemand gefragt.“ Und Deutschland ist ja auch nicht so ganz ohne ... Der Autor kann sich nämlich noch gut daran erinnern, „wie mich einmal Otto Schily tyrannisierte (!)“. Was ein relativ junger deutscher Schriftsteller schon alles durchmachen musste! Trotz alledem noch sehr sensibel geblieben!

Zum Beispiel für das Leid der Palästinenser, die nach Israel einreisen wollen. Während sie am Checkpoint auf ihre Genehmigung warten, legt sich weißer Staub auf ihre Haare und Kleidung; Rinke: „Sie sehen aus wie die Überlebenden aus dem World Trade Center.“ Welch ein Satz!

Welch prosaische Begabung!? Nun, das kann ich nicht beurteilen, da fehlt mir jegliche Kompetenz. Ich weiß nicht einmal, warum solch ein Essay in der Zeitung der deutschen Sozialdemokratie abgedruckt wurde. Wenn es einer von Euch wissen sollte, wäre ich für eine Erklärung dankbar.

 

Mit freundlichen Grüßen

Werner Jurga, Anfang Mai 2007

 

* alle folgenden Zitate sind diesem Text entnommen.

**Rinke selbst schreibt „An- und Abführzeichen“, ich kenne allenfalls „An- und Ausführzeichen“. Das Verb „abführen“ ist mir nur aus völlig anderen Zusammenhängen geläufig, z.B. aus dem polizeilichen.

 

Bei dem „Vorwärts“-Artikel handelt es sich um eine Kurzfassung des „Palästina-Blues“, der am 15.05.2007 im „Tagesspiegel“ erschienen ist. Diese Langfassung lag mir beim Verfassen meiner Anfrage nicht vor, ist aber im Gegensatz zur „Kurzfassung“ in elektronischer Form erschienen. Sehr schön in der Langfassung: das kleine jüdische Mädchen mit Kippa auf dem Kopf, in das sich Rinke „verliebt“ hat. Frauen und Mädchen tragen keine Kippas, Tja, Liebe macht blind, Hass aber auch, und erst Recht ein Trauma! 

 

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