ulm Sauerland herum

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

So, der Urlaub ist zu Ende; ich bin wieder zuhause. Da heißt es natürlich zunächst mal, all die neuen Eindrücke erst einmal sacken zu lassen. Es ist schon beeindruckend, wie sehr eine solche Reise das Bewusstsein erweitert. Ich hatte Ihnen ja erzählt, wo ich meine – zugegebenermaßen etwas spärliche - Arbeitskraft reproduziert hatte. Ich weiß allerdings nicht, ob ich Ihnen auch schon einmal erzählt habe, dass für mich jede Ersatzinvestition ebenfalls auch eine Erweiterungs-investition ist. Egal, eine ökonomische Spitzfindigkeit, mehr nicht.

Was ich sagen wollte: ich hatte im Urlaub nicht nur aufgetankt. Ich bin auch zurückgekommen mit echt neuen Dingern drauf. Dies zum Beispiel – müssen Sie ganz schnell dreimal hintereinander sprechen:
 

Im Sauerland, um Sauerland
und um Sauerland herum

Wie bitte? Das soll einfach gewesen sein? Sie hätten sich kein einziges Mal verhaspelt?
Ja, ich hatte aber auch gesagt, Sie sollen es dreimal hintereinander sprechen, und zwar so schell wie möglich. Im Sauerland, um Sauerland und um Sauerland herum. Im Sauerland, um Sauerland und um Sauerland herum. Im Sauerland, um Sauerland und um Sauerland herum.
Immer noch nicht verhaspelt? – Na okay, dann klappt es eben nicht immer mit dem Sauerland. Sie können ja einmal diesen hier versuchen:
In Ulm, um Ulm und um Ulm herum. In Ulm, um Ulm und um Ulm herum. In Ulm, um Ulm und um Ulm herum.
Sehen Sie! Das ist ein echter Zungenbrecher, was! Okay, dafür ist er nicht gerade neu, zugegebenermaßen (mein Lieblingsadverb) eine olle Kamelle. Aber immerhin: wir spüren klar den Unterschied. Ulm ist Ulm, und Sauerland ist Sauerland.

Auch dies wäre an und für sich nicht groß erwähnenswert, würden nicht in der letzten Zeit ständig Ulm und Sauerland miteinander verwechselt. So werden die deutschen Dschihad-Terroristen, denen gegenwärtig in Düsseldorf (am Rhein) der Prozess gemacht wird, weil sie  im Namen Allahs hierzulande Massenmorde zu begehen gedachten, in steter Regelmäßigkeit als Sauerlandgruppe bezeichnet. Das ist gemein; denn diese faschistische Mörderbande hat sich keineswegs im westfälischen Mittelgebirge gefunden, sondern in Ulm.
Im württembergischen Ulm oder auch im bayrischen Neu-Ulm, aber auf keinen Fall im westfälischen Sauerland. Schon allein deshalb hat der Berliner Tagesspiegel völlig recht, wenn er deutlich feststellt:
 

Das hat es nicht verdient,
nicht mal das Sauerland

Das kann man doch nicht mehr mit Verhaspeln erklären, so oft wie sich die Medien damit vertun. Das riecht doch nach böser Absicht. Nicht dass jetzt irgendjemand meint, dass ich, nur weil ich eine Ferienwohnung im Sauerland angemietet hatte …

Freitag Abend, Abschlussessen. Wehmut kam auf; ich fühlte mich wohl bei diesem gefräßigen, diebischen Bergvolk, wie es mitunter liebevoll genannt wird. Ein letzter Abend in der Ferienwohnung im Sauerland – nach dem schönen Essen habe ich mir schnell noch das wichtige Politmagazin RTL-Nachtjournal bei einem Gläschen Cognac zu Gemüte geführt.
Und wen sehe ich da plötzlich mitten im Sauerland? - Richtig: den Sauerland. Klar: den von der Ruhr-Mündung in den Rhein, unseren wahlkämpfenden Oberbürgermeister Adolf Sauerland. Das hat er letztlich seinem ebenfalls wahlkämpfenden Parteifreund Dieter Althaus zu verdanken, der an diesem Freitag die Abschaffung des Solidaritätszuschlags angeregt hat. RTL zeigt Tiefensee, der im Osten ein neues Teilstück freigibt. Schnitt, dann Rheinhausen. Das in Eigenarbeit renovierte Haus der Jugend wird feierlich neu eingeweiht. Ohne städtische Gelder, so scheint es; dennoch ist der OB zugegen.

Ein RTL-Kamerateam will Adolf Sauerland, wie aufregend! RTL mit RTL II, Super- RTL, VOX, n-tv und wie sie alle heißen. Das ist die Chance dieses Wahlkampfs! Wie aufregend! Gerade auch für Adolf Sauerland. Hier einmal zeigen, was ein echter Spitzenpolitiker ist … doch dafür war er dann eine Nummer zu aufgeregt. Es hat nicht sollen sein. Wie ärgerlich. Alle konnten (und können) seine Anspannung sehen, kein Wunder: schon hat er sich verhaspelt. Sauerland, Ulm oder was. Und das kam dann – siehe hier, etwa in der Mitte der Sendung – dabei raus:
 

Deshalb ist es zwingend notwendig, fehlgeleitete
oder falsch laufende Investitionsgelder zu überprüfen
und den Solidaritätszuschlag Ost zu beenden.
                                                                  
Adolf Sauerland

Was ist notwendig? Die Antwort im Nebensatz. Okay – geht so eben. Der Nebensatz besteht aus zwei selbständigen Nebensätzen, zuerst der völlig verhaspelte (um Ulm herum): fehlgeleitete oder falsch laufende Investitionsgelder zu überprüfen.
Ich hatte im Sauerland das Vergnügen, den Urlaub fast nonstop mit meiner Tochter verbringen zu dürfen. Hätte ich so etwas von mir gegeben, hätte sie mit einer ganz besonderen Betonung auf der zweiten Silbe okay gesagt. Der Ton des „kay“ wäre sehr lang gezogen gewesen und immer höher geworden; dabei hätte sie die Augen gerollt und ihren Mund verzogen: fehlgeleitete oder falsch laufende Investitionsgelder zu überprüfen, ist so was von Okay. Muss man gar nichts zu sagen.

Wesentlich wichtiger ist das zweite Nebensätzchen: und den Solidaritätszuschlag Ost zu beenden. Klasse: Sauerland schließt sich also Althaus´ Forderung an, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen. Das macht sich gut, oder? Finden das nicht irgendwie alle? Jedenfalls in NRW. Ich will nicht alle und jeden zitieren, die dafür sind, Wirtschaftförderung nicht nach Himmelsrichtung, sondern nach Bedürftigkeit zu verteilen. Ist ja inzwischen auch kein Tabu mehr; Ende 2006, als mein SPD-Ortsverein eine entsprechende Resolution beschlossen hatte, war die ganze Sache noch ein wenig heikler. Eine Resolution zum Solidarpakt  - nicht etwa zum Solidaritätszuschlag.
Beim Thema "Solidaritätszuschlag" lässt sich besonders gut auf einem Sender wie RTL die Strategie der Volksverblödung betrachten. Denn vielen Menschen ist nicht bewusst, dass der Solidaritätszuschlag - also der Aufschlag von 5,5 % auf die Einkommenssteuer - mit dem Solidarpakt (Zwei) - also den Leistungen aus dem Bundeshaushalt für die Ostzone - so viel zu tun hat wie die Kuh mit dem Sonntag. Bekanntlich gilt das Nonaffektationsprinzip, also das Verbot der Zweckbindung von Steuern.
Will heißen: das, was als "Soli" reinkommt, darf nicht als "Soli" rausgehen, und geht auch nicht so raus. Sondern viel, viel mehr.
 

Solidaritätszuschlag oder Solidarpakt?

Das ist tausendmal gesagt, um ebenfalls tausendmal vergessen zu werden. Ein Hammer ist es schon: der Oberbürgermeister einer armen Großstadt fordert faktisch eine allgemeine Steuersenkung nach dem Gießkannenprinzip um knapp 5,5 %, wovon wegen der Steuerprogression freilich vor allem Haushalte mit höheren Einkommen profitieren. "Neoliberalismus" pur.
Das kann kein vernünftiger Mensch wollen. Abgesehen von der FDP, aber diese Menschen bezeichnen sich ja allenfalls selbst als vernünftig. Gerade der OB einer bankrotten Großstadt (so läuft ja seine Begründung) kann alles Mögliche fordern, nur eben keine unspezifische gigantische Steuersenkung.
Dass der Repräsentant einer verarmten Stadt so etwas fordert, ist absolut skandalös! Eine Steuerentlastung in Höhe von etwa 15 Mrd. Euro - in der jetzigen Situation (!) – querbeet, also konjunkturell wirkungslos und für Duisburg absolut wirkungslos – wird erstens nicht kommen und wäre zweitens verheerend.

Entweder weiß Sauerland nicht, dass die Solisteuer nichts mit dem Solipakt zu tun hat. Dann wäre er inkompetent. Oder er greift bewusst zu einer Mogelpackung; dann wäre er unaufrichtig.
"Der Wähler" unterscheidet nicht zwischen Soli rein und Soli raus. Allein bei der Aussicht auf eine Steuersenkung von fast 5,5 % läuft ihm das Wasser im Mund zusammen.
Und deshalb, ja: deshalb, weil der Populismus-Verdacht sich geradezu aufdrängt, würde ich schon gern wissen, ob Sauerland nun wirklich den Steueraufschlag abgeschafft wissen will, was auch den Jubel derjenigen Wähler garantiert, die sich bei nächster Gelegenheit über die Kita-Gebühren ärgern. Oder über die Schlaglöcher auf Duisburgs Straßen. Oder, oder, oder …
Oder ob er, was bislang als Konsens hat gelten dürfen, einfach mal einen Deckel auf die Transferzahlungen von West nach Ost setzen will. Okay, dann hätte er sich einfach nur verhaspelt. Auch im zweiten Teil des Nebensatzes; das kann in der RTL-Aufregung einmal passieren. Aber Sauerland sollte dann schon öffentlich klarstellen, wer die Summen, die nicht mehr in den Osten fließen sollen, seines Erachtens bekommen soll: die kommunalen Haushalte oder die (besser verdienenden) Steuerzahler oder alle oder wer?

Und er sollte üben, sich nicht mehr zu verhaspeln. Zum Beispiel mit dem Zungenbrecher In Ulm, um Ulm und um Ulm herum. Oder noch besser: dreimal ganz schnell hintereinander das Wort Nonaffektationsprinzip aussprechen.
Das ist in §8 Bundeshaushaltsordnung festgelegt und besagt, dass Steuern, wie auch Gebühren und Abgaben, generell, also ungebunden, der Finanzierung von staatlichen Ausgaben zur Verfügung stehen. Die Alternative wäre eine Töpfchenwirtschaft. Damit ist aber kein Staat zu machen. Auch keine Familie. Nicht einmal eine Stadt wie Duisburg. 

Und jetzt alle! Ganz schnell: Nonaffektationsprinzip, Nonaffektationsprinzip, Nonaffektationsprinzip … - echt schwierig.

Werner Jurga, 16.08.2009

 

[Jurga] [Home] [März 2010] [Marxloh stellt sich quer] [Februar 2010] [Januar 2010] [2009] [Dezember 2009] [November 2009] [Oktober 2009] [September 2009] [August 2009] [Juli 2009] [Juni 2009] [Mai 2009] [April 2009] [März 2009] [Februar 2009] [Januar 2009] [2008] [2007] [Kontakt]