Selic - Broder - Lison

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Der Neid – kein Thema, nicht wirklich. Brauchen wir gar nicht groß drüber zu reden: Neid geht gar nicht. 

Dummerweise geht es ohne Neid irgendwie auch nicht. Ich jedenfalls kann mir ein Leben ohne Neid überhaupt nicht vorstellen. Ob nun anthropologische Konstante oder kapitalistisch deformierte Persönlichkeitsstruktur – jetzt mal ganz unter uns: haben Sie sich auch schon einmal dabei ertappt, neidisch zu sein? Oder auch zweimal, vielleicht sogar dreimal?
Schlimme Sache – keine Frage. Aber was, wenn jemand eine ganz tolle Wohnung hat?! Oder eine ganz tolle Fernreise?! Oder ganz allgemein: wenn jemand einfach eindeutig mehr hat als Sie. Wenn jemand so richtig reich ist, wie so ein Unternehmer, so ein Kapitalist. Dann kommt so richtig Sozialneid auf, also die schlimmste Form des Neides.
Glauben Sie jetzt bitte nicht, ich redete jetzt schon wie der Unternehmerverband! Falsch. Das mache ich erst am Ende dieser Kolumne. Das ist zwar ungerecht; denn Arbeitgeber-Chef Heinz Lison war eigentlich der erste von Dreien, die sich meinen Neid zugezogen haben. Aber wenn die Welt gerecht wäre … doch wem sage ich das!
 

Eva Selic

Beginnen möchte ich mit Frau Dr. Eva Selic, ihres Zeichens OB-Kandidatin der Duisburger Wählervereinigung SGU. Die Sache ist nämlich noch am frischesten. Gestern im Rahmen der Serie HAUS-BESUCH berichtete die WAZ Duisburg in ihrer Printausgabe, wie sie zu Gast war bei Dr. Eva Selic. Zugegeben: ich habe mich sowohl schon zu dieser WAZ-Serie geäußert als auch zu Frau Dr. Selic.

Aber was ich gestern unter der Ãœberschrift Ganz oder gar nicht lesen musste, schlug wirklich dem Fass den Boden aus:
Um diese Wohnung beneiden sie garantiert viele … Die Wohnung könnte glatt auf dem Titelblatt der Zeitschrift „Schöner Wohnen“ erscheinen. Ich leide ohnehin schon so unter meinem Neid, und dann haut Frau Doktor auch noch derartig auf die Sahne! Na klar: eine solch tolle Wohnung sei für sie wichtig bei gleich zwei Jobs, die sie zurzeit ausübt.
Ja, was soll ich denn sagen?! Aber so ist sie halt, die Eva Selic: Ganz oder gar nicht – ein Teufelsweib! Beneide ich eigentlich sie? Oder ihn, ihren Gatten, den Jörg? Schwer zu sagen. Ehrlich gesagt: Mobiliar ist mir ziemlich schnurze, wäre also kein Hinderungsgrund:
„Wir haben hier noch meine Konfirmationsmöbel verbaut“, erläutert sie den Stilmix, der aber irgendwie passt. Genau wie das Versprechen, das sie ihren Kindern gegeben hat. „Wenn ich OB werde, bekommen sie einen Hund.“ Wie Barack Obama? „Genau. Die Jungens haben so lange gequengelt, bis ich nicht mehr anders konnte“, sagt Eva Selic lachend.
Da lacht sie, die Eva. Wenn sie OB wird, bekommen ihre Buben einen Hund. Das haben sie jetzt von ihrer Quengelei! Vermutlich stecken sie jetzt eifrig Muttis Zettel in die Briefkästen. Und Frau Doktor lacht sich einen Ast ab. – Und was sagt Jörg dazu, der Gatte?
Für Ehemann Jörg steht fest: „Wenn sie es wird, bleib ich zuhause.“
Super, neue Männer braucht das Land. So richtig emanzipierte Burschen wie mich und demnächst auch – aller Wahrscheinlichkeit nach – Jörg Selic. Zu Hause rumhängen mit Hund und Kind, während die Frau Mama nicht mehr zwei, sondern nur noch einen Job hat, den sie dann freundlicherweise dazu nutzen wird, die soziale Schieflage in Duisburg zu beseitigen.
 

Henryk M. Broder

Sie wissen ja: diese Serie erscheint nicht online. Und Sie wissen auch, dass ich gegenwärtig Urlaub mache. Im Sauerland. Ja gut, die WAZ lasse ich mir hierher (oder dahin; eine Frage des Standpunktes) nachschicken. Und ich bin sogar online im Sauerland. Und Sie sind immer noch nicht neidisch. Warum auch. Andere machen viel weiter weg Urlaub, und außerdem noch viel länger. Henryk M. Broder zum Beispiel. Der hängt nämlich nicht im Sauerland rum, sondern in Vermont. Das ist in Kanada! Hammer! Nicht Kanaan. Ka-na-da! Und der liest da auch nicht die WAZ, sondern die NYT. Kennen Sie doch! Die New York Times. Und da liest er ein Interview mit Arlo Guthrie.
Arlo Guthrie – Sie wissen schon: love and peace und alles. Alice´s Restaurant, da waren wir noch jung. Okay, wir sowieso, aber in gewisser Hinsicht auch Arlo und Henryk. Broder fand das Interview extrem lesenswert, zeigt es doch, dass man auch im fortgeschrittenen Alter zur Vernunft zurückfinden kann - wenn man will.
Arlo, der Sohn des nicht minder berühmten Musikers Woody Guthrie erzählt darin nämlich, dass er seit ein paar Jahren Mitglied der Republikanischen Partei ist. Nein, nicht Woody, der ist längst tot und war Sozialist / Kommunist, und das in den USA. Vielmehr ist es die 68er Ikone Arlo, die zur Vernunft zurückgefunden hat, wie Broder meint. Dass er sich über jeden, der so einen ähnlichen Weg zurückgelegt hat wie er selbst, sehr freuen kann, hat mich nicht überrascht. Aber zurücklegen ist nun einmal etwas anderes als zurückfinden. Zurückfinden fand ich nun irgendwie komisch, also schrieb ich ihm:

Lieber Herr Broder,
in Ihrem kurzen Beitrag über Arlo Guthrie lassen Sie die Leser wissen, "dass man auch im fortgeschrittenen Alter zur Vernunft zurückfinden kann - wenn man will."
Und, wenn ich das ergänzen darf, wenn man überhaupt jemals vernünftig war.
Ich wünsche noch einen angenehmen Aufenthalt!
Liebe Grüße aus dem Sauerland von
Werner Jurga

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten:
das stimmt. danke.
b.

Stilfragen sind wichtig, insbesondere wenn es um Vernunft geht. Also meine Antwort:
Keine Ursache!
J.

Beneidenswert! Man hockt 40 Jahre nach Woodstock an der Grenze Kanadas zu den USA, liest in der New York Times, dass es noch andere gibt, die von links außen ziemlich weit nach rechts abgedriftet sind und lässt dies die Fans wissen, sagt mal kurz Vernunft und zack: wieder eine Kolumne fertig.
Ich platze vor Neid. Könnte ich das auch schaffen? Ich meine, ohne in diesem Sinne vernünftig zu werden? 

Heinz Lison

Noch cooler als rechts ist natürlich, man wird sogleich Kapitalist. Dann kann man so ziemlich alles bringen. Zumindest, wenn man Chef des Unternehmerverbands ist. So wie Heinz Lison. Können Sie sich erinnern? Vor vier Tagen habe ich Ihnen erzählt, wie Lison und sein UVG-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Schmitz ständig Klassenkampf von oben machen. Und was ist jetzt, ein paar Tage später, am Samstag in der WAZ Duisburg? Achtung! Oberüberschrift: Verband kritisiert. Na was denn? Festhalten, die Schlagzeile: Banken greifen in die Unternehmenspolitik ein. Kein Witz, wirklich wahr, schauen Sie hier!
Es könne nicht sein, dass der Mittelstand dafür bestraft werde, dass Milliarden an Spieltischen verzockt worden seien, sagt Heinz Lison. Das Verhalten der Banken gefährde den Aufschwung.

Wer hat´s erfunden? Also: das muss man erst einmal bringen. Bringen können! Das ist wirklich beneidenswert. Klarer Fall: nicht Bürofritze der ausgemusterten Sozis, nicht vernünftiger Rechts-Kolumnist soll es sein. Sondern Arbeitgeber-Chef. Da ist man wirklich zu beneiden. Das wäre echt etwas für mich.

Werner Jurga, 11.08.2009

 

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