Liebe Mimi Müller

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Liebe Mimi Müller,


gegenwärtig mache ich Urlaub. Jedenfalls bin ich verreist. Und da ist das mit dem Internet alles nicht ganz so einfach.

Gut, das soll nicht Ihr Problem sein. Ich erzähle Ihnen dies nur, damit Sie verstehen, warum ich auf meiner Homepage den Link zu Ihrem xtranews-Interview schnell wieder gelöscht habe. Es war nämlich einfach so, dass ich Ihr Interview verlinkt hatte, ohne es vorher gelesen zu haben. So gehe ich selbstverständlich normalerweise nicht vor; denn ein Link hat ja schon auch den Charakter einer Empfehlung. Aber wie gesagt: Urlaub, Internet, Sie verstehen schon.
Hinzu kam, dass ich mir sicher war, ein Interview mit Ihnen blind empfehlen zu können. Dies zu begründen, hieße, Ihnen Komplimente zu machen. Sie spüren bereits, dass dies an dieser Stelle nicht so recht angemessen wäre. Kurz gesagt: ich hatte mich geirrt.
Was Sie, liebe Mimi Müller, in diesem Interview über Ihre zweifelsohne tatsächliche vorhandene Empörung über den „Fall Dierkes“ vortragen, hätte ich mir im Traum nicht vorstellen können. Dass diese Empörung gar die erste Anregung für Ihre eigene OB-Kandidatur war, wäre für sich genommen recht amüsant, wenn das Ausmaß Ihres Realitätsverlustes nicht so traurig wäre.
Sie haben, wie Sie schreiben, die Ereignisse um den Rücktritt des ehemaligen OB-Kandidaten der Linkspartei genau verfolgt und kommen zu dem Ergebnis, die damalige Empörung über die antisemitischen Entgleisungen des Herrn Dierkes seien inszeniert, ein Schauspiel, das als ein Foulspiel zu betrachten sei.

Möglicherweise würden Sie, liebe Mimi Müller, an dieser Stelle einwenden, falls Sie noch mit mir korrespondierten, dass ich doch gar nicht so überrascht sein könne. Schließlich hat ja unser mitunter recht intensive Gedankenaustausch genau in dieser Sache ihr schnelles und jähes Ende gefunden. Ich erinnere mich an Ihre letzte eMail im März, in der Sie meine Kolumne Wie leicht wird man zum Opfer scharf missbilligt hatten, ohne allerdings auch nur anzudeuten, was genau Sie an meinem Text so gestört hatte.
Ich erinnere weiter (nein, ich habe diese eMails nicht gespeichert; keine Sorge), dass ich Sie mit der mir eigenen Freundlichkeit und Geduld gebeten hatte, mir diesbezüglich mal den ein oder vielleicht auch anderen Hinweis zu geben. Oder andernfalls die Klappe zu halten und mich nicht mehr zu belästigen. Bedauerlicherweise hatten Sie sich für Variante Zwei entschieden.
Und jetzt sind Sie da angekommen, und Sie gewähren der Öffentlichkeit im xtranews-Interview bereitwillig Einblicke in Ihre Welt. So ein bisschen Verschwörungsstuss à la Duisburger Linke (leicht modifiziert) kombiniert mit der wirklichen Jeanne d´Arc, die sich nach dem Tod des - etwas kümmerlichen - Revolutionärs den Kräften des Bösen in den Weg stellt und der Gerechtigkeit zum Sieg verhilft. Lesen Sie bitte noch einmal selbst, was Ihnen da in die Tasten oder zwischen die Lippen gerutscht ist:
Durch meine Kandidatur ist auch sichergestellt, dass aus dem damaligen, nennen wir es „Foulspiel“, niemand einen Nutzen ziehen kann. Im Gegenteil: eine Bewerberin ist auf die innerstädtische Bühne getreten, die Machtinteressen bei weitem mehr im Wege steht, als Dierkes es je gekonnt hätte. Meine Oma hätte das mit einigem Vergnügen „ausgleichende Gerechtigkeit“ genannt.

Sagen Sie mal, Mimi - ich kannte ja Ihre Oma nicht. Aber kann es nicht sein, ist es nicht deutlich wahrscheinlicher, dass Ihre Oma sich Ihre Mutter oder Ihren Vater, Ihren Opa oder die andere Oma oder gleich alle zusammen geschnappt und ganz besorgt vorgetragen hätte: “Irgendetwas stimmt mit unserem Kind nicht. Was machen wir da bloß?”
Reine Phantasie, liebe Mimi Müller, Sie werden Ihre Oma schon besser in Erinnerung haben als ich - ich kannte ja Ihre Oma nicht. Was mich beruhigt, ist, dass sich Ihre bösen Geister in einem für mich nicht ganz unwesentlichen Punkt von den Dämonen des Herrn Dierkes unterscheiden. Während in seinem Alptraum ich der Drahtzieher bin, ist in Ihrer Horrorgeschichte ein Mitglied der Linkspartei der Regisseur.
Sie wissen, liebe Mimi Müller, ich bin eitel bis dort hinaus. Aber glauben Sie mir: so ist es mir wirklich lieber. Und so ist es auch ein wenig näher an der Realität. Nur möchte ich Sie darauf hinweisen: der Regisseur hat kein Schauspiel inszeniert, sondern einen Dokumentarbericht verfasst.
Niemand hat Herrn Dierkes gebeten, das Existenzrecht Israels - klar: als jüdischen Staat - zu bestreiten (Januar). Niemand hat ihm die Anweisung gegeben, zum Boykott israelischer Waren aufzurufen (Februar). Und niemand hat ihn genötigt, für einen bewaffneten Kampf gegen Israel zu plädieren.

Na ja, das wissen Sie ja alles, liebe Mimi Müller. Und Sie wissen auch, dass mir z.B. der Kampf gegen einen solchen Dreck weitaus mehr am Herzen liegt als wahltaktische Erwägungen - gar bezüglich einer Kommunalwahl.
Ich weiß jedoch nicht, welcher wilde Teufel Sie geritten hat, Ihre abstruse Story in aller Öffentlichkeit vorzutragen. Ist mir auch letztlich schnurze. Was mich jedoch interessieren würde, ist, ob Sie die Dinge im Nahen Osten so ähnlich beurteilen wie Herr Dierkes, oder ob Ihnen so ein antisemitisches Gequatsche schlicht wurscht ist.
Ich weiß, Sie werden es mir nicht mitteilen. Und deswegen habe ich Ihnen einen Offenen Brief geschrieben; denn so fragen sich dies nicht nur unsere gemeinsamen Bekannten, sondern noch einige Leute mehr. Sie werden einen Weg finden, der Öffentlichkeit und mir darzulegen, dass Sie keine Antisemitin sind. Ich kann es mir eigentlich auch nicht vorstellen.

Aber - das hatten wir ja schon: ich kann und konnte mir so einiges nicht vorstellen. Ich habe eben nicht die Phantasie einer Mimi Müller.


Leben Sie wohl!
Werner Jurga, 05.08.2009

 

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