Jubel im bürgerlichen Salon

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Wolfram Weimer ist, wie wir vor kurzem mit Erschrecken vernehmen mussten, konservativ. Sozialdemokraten sind für ihn folglich die Anderen; und über Andere, so etwas weiß der Herr im bürgerlichen Salon, sollte man nicht spotten. Schon gar nicht, wenn es der Andere umständehalber gegenwärtig gar nicht wert ist, mit führend-intellektuellem Spott bedacht zu werden. Das wäre nämlich billig. Und weil Weimer prinzipiell nicht so für das Billige zu haben ist, erklärt er gleich zu Beginn seiner neuen Kolumne Saloon-Schießerei in der SPD, über wen er sich aus Gründen der Billigkeit nicht lustig zu machen gedenkt:
Über Frank-Walter Steinmeier politische Witze zu machen, ist derzeit so billig wie Österreich-Scherze im Weltfußball.

So ist er, der Weimer, immer ein Gentleman. Ja, wirklich immer. Jedenfalls vor anderthalb Jahren auch schon. Da zerbrach er sich nämlich den Kopf über die Frage Warum zerfällt die SPD?
Zu Becks Zeiten hat Weimer freilich ganz anders begonnen, nämlich so:
Über Kurt Beck politische Witze zu machen, ist derzeit so billig wie San-Marino-Scherze im Weltfußball.
Ich schließe daraus, dass der konservative Intellektuelle das Verhältnis Steinmeiers zu Beck (in der politischen Power, versteht sich) so ähnlich beurteilen sollte wie das Verhältnis von Österreich zu San Marino (im Weltfußball, versteht sich).

Von Weimer zu Broder

Von Wolfram Weimer zu Henryk M. Broder, dem schon vor Jahrzehnten aufgefallen ist, dass es linken Antisemitismus gibt. Ob er nun darüber vergessen hat, dass es auch rechten (klar), also: bürgerlich-rechten Antisemitismus gibt (sogar in der astreinen FDP, unglaublich!)? Ich weiß es nicht. Jedenfalls ist er der Linken abhanden gekommen, was ihn nicht daran hindert, sich ebenfalls seine freie unabhängige Meinung zur Situation der SPD zu bilden. Dabei mag es etwas überraschend erscheinen, dass Broder, der Wirtshausschläger des deutschen Feuilletons, inzwischen Skrupel entwickelt hat, sich über Andere lustig zu machen – zumal dies ja gemein sein könnte. So beginnt Broder, der Softie, seinen Beitrag für die Schweizer Weltwoche mit dem Titel SPD hat fertig mit diesen denkwürdigen Worten:
Sich in der jetzigen Situation über die SPD lustig zu machen, wäre so gemein, als würde man einen Schüler, der durch das Abitur gefallen ist, fragen, was er demnächst studieren möchte.
Witzig: lachen!

Nach dieser gelungenen Eröffnung nimmt auch Broders Essay seinen Lauf. Zumal auch hier die Parallelen zu Weimers Ausführungen unverkennbar sind. Wie gut, dass bürgerliche Liberalkonservative nicht auf geistreiche Intellektuelle angewiesen sind, um satte Wahlergebnisse einzufahren. Wäre dem so, befänden sich Union und FDP in einer Existenzkrise, und es wäre ein Leichtes zu erklären, woran das wohl liegen könnte.
Schade nur: dem ist nicht so. Von den bürgerlichen Parteien erwartet niemand, dass da irgendein Geist dahintersteckt. Abgesehen natürlich vom Geist des Geldes. Linke Parteien müssen da schon, weil sie etwas anderes anbieten, einfach mehr bringen. Dem ist aber auch nicht so; auch schade.
Und so kann Weimer, selbstverständlich völlig spottfrei, seine Krokodilsträne vergießen:
„Linke Intellektuelle“ – das klingt heute nach unlustigen alten Herren, gestrig wie Gamaschen und Absinth.

Lustige alte Herren jubeln vor sich hin

Und so reihen die Herren Punkt für Punkt aneinander, reine Deskription, nichts an Erklärung, schlicht Punkte, auf die auch ohne große geistige Anstrengung jeder Zweite von der Straße gekommen wäre. Bis schließlich Broder, selbstverständlich ohne sich irgendwie lustig zu machen, dann doch recht amüsant das Fazit zieht:
Die SPD hat fertig, die Lage, in der sie sich befindet, ist ebenso wie die Krise bei Opel, das Ergebnis vieler Managementfehler und einer falschen Modellpolitik.
Welches Modell, welche Modelle die SPD mit welchen Managern fehlerfrei anbieten müsste, ist bei den Herren nicht in Erfahrung zu bringen. Gott sei Dank! Von mir übrigens auch nicht; denn die Wahlen stehen ja vor der Tür. Da kann man jetzt weder die Pferde wechseln noch die Richtung korrigieren. Insofern bleibt der SPD nicht viel mehr, als ihren Weg zu gehen und vor allem, die Menschen darauf aufmerksam zu machen, was ihnen im Falle von Schwarz-Gelb blüht. Dies ist zwar defensiv, aber bitter nötig, weil die Leute mit einer CDU-FDP-Regierung fälschlicherweise die Kohl-Jahre assoziieren. Die Sehnsucht nach der gemütlichen Stagnation unter dem Dicken würde aber nicht in Erfüllung gehen.

Die Sinnfrage, wie Tissy Bruns das ausdrückt, stellt sich für die SPD erst nach der Wahl – und zwar unabhängig von deren Ergebnis. Sie schreibt:
Denn aus dieser Krise, die Produkt einer rabiaten Ellenbogenmentalität ist, erwächst eben kein Automatismus zu der solidarischen und gerechten Gesellschaft. Wer sagt, was er für Opel will, hat deshalb noch längst nichts darüber gesagt, wie die Alternative zu dem ungesteuerten Kapitalismus aussehen kann, der in den Abgrund geführt hat, und nichts darüber, ob er überhaupt diese andere, neue Ordnung für die Gesellschaft will.
Die SPD muss wollen.

Und so viel will ich dann doch auch jetzt schon einmal sagen: Recht hat sie damit, die Tissy Bruns.

Werner Jurga, 23.06.2009

 

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