Ein bisschen  Krieg

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Die Bundesregierung im allgemeinen und ihr Verteidigungsminister im besonderen sprechen von einem "humanitären Einsatz" in Afghanistan, bei dem die Bundeswehr mit ihren „Entwicklungshelfern“ tätig sei.
Nun kann man im Nachhinein von der Sowjetunion denken, was man will. Zwar hat sich die sowjetische Propaganda seinerzeit die gleiche groteske Verfälschung des Sachverhalts erlaubt, jedoch fehlte damals im Kreml ein derartiges Gespür für Kitsch. Die „Präsenz sowjetischer Truppen“ am Hindukusch erfolgte nach einem „Hilferuf“, nämlich der „Bitte um militärische Hilfe“. Freilich wurde über das Tagwerk der Roten Armee und insbesondere über die Größe ihrer Siegeschancen bzw. der von ihr kontrollierten Gebiete nach Kräften geschwiegen oder geschwindelt, um die werktätigen Massen daheim nicht unnötig zu beunruhigen. Doch dieses Gesülze im Stile Rosamunde Pilchers lag den Kreml-Herren nicht. Das konnte ja nicht gut gehen.
Deutschland  heutzutage, Groschenroman statt Landserheft. Brunnen bauen, Frauen emanzipieren, Schulen einweihen. Ein bisschen was fürs Gemüt. Ein bisschen Herz, ein bisschen Seele, kurz: ein bisschen Frieden.

Doch Deutschland ist ein freies Land, ein Rechtsstaat und kein Unrechtsstaat, und deshalb war es nur eine Frage der Zeit, dass sich gegen den Kreml-Agitprop im Stile von Hollywood-B-Movies Widerstand regte. Zum Beispiel von demjenigen, der für das Wohl und Wehe deutscher Soldaten in besonderer Weise zuständig ist. Denn ihnen und / oder ihren Angehörigen ist vor Dienstantritt nicht immer in hinreichendem Maße klar gemacht worden, dass die Rede von einem bisschen Frieden notwendigerweise auch ein bisschen Krieg impliziert. Auch wenn Verteidigungsminister Jung – vielleicht sogar zu Recht – darauf besteht festzustellen, es sei »falsch, hier nur von Krieg zu sprechen«, so ist es hier – also bezogen auf Afghanistan – ganz bestimmt ebenso falsch, hier nur von Frieden zu sprechen.
Es folgt der Auftritt des Wehrbeauftragten:

Reinhold Robbe

Foto:Torsten Bätge

Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Reinhold Robbe, warnt. "Jeder, der versucht, da darum herumzureden, suggeriert zumindest gegenüber den Soldaten, dass er etwas verharmlost oder kleinredet." Man müsse die Dinge deutlich auf den Punkt bringen, fordert der Wehrbeauftragte.
Das sei man nämlich den Soldaten schuldig. „Nicht verharmlosen“, sondern die „Dinge deutlich auf den Punkt bringen“. Es sei notwendig, der Öffentlichkeit reinen Wein einzuschenken, sagt Robbe. Man befinde sich nämlich – und jetzt sagt er es deutlicher als deutlich:

„in kriegsähnlichen Zuständen“

Er könne es nachvollziehen, wenn die Soldaten von einem »kriegsähnlichen Zustand« sprechen. „Dem kann ich nicht widersprechen“, sagte Robbe. Gestern. Aber auch schon im Mai.

Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Reinhold Robbe, hat sich dagegen ausgesprochen, die Auslandseinsätze der Bundeswehr schönzureden. "Für die Soldaten ist es kein Thema, dass sich die Bundeswehr in Kriegseinsätzen befindet, zum Beispiel in Kundus, dort gibt es kriegsähnliche Szenarien", sagte Robbe am 8. Mai 2009 im Interview mit dem Parlamentsfernsehen des Deutschen Bundestages.

Robbe sieht gar „eine neue Qualität“ erreicht. Es gebe immer wieder stundenlange Gefechte. Na, wenn das so ist …
… dann kann ich auch nachvollziehen, wenn die Soldaten von einem »kriegsähnlichen Zustand« sprechen. Ich stelle mir das so vor: zwei Kameraden im Basislager Kundus reflektieren ihre Arbeit. Sagt der eine: „Mensch Du, das waren ja heute richtiggehend kriegsähnliche Szenarien!“ „Du echt“, erwidert der andere, „ich möchte da fast von einem kriegsähnlichen Zustand sprechen.“ Der erste wird etwas sauer: „Wenn ich so höre, was die Politiker zuhause so alles erzählen!“ „Genau“, pflichtet ihm der Kamerad bei: „Jeder, der versucht, darum herumzureden, suggeriert, dass er etwas verharmlost oder dass er etwas kleinredet“. Und so beschlossen sie, wenn das nächste Mal jemand vom Fernsehen kommt, klipp und klar in die Kamera zu sagen: „Wir sind hier in einem kriegsähnlichen Zustand!“

Werner Jurga, 25.06.2009

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