Durchmischung auf dem Markt

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Nun musste ich heute früh ohnehin in die Stadt. Nein, nicht nach Duisburg. In die Rheinhauser Stadtmitte. So sagt man das hier: ich muss mal in die Stadt.

Ich hatte nur einen kurzen Termin in der Hildegardstraße. Und von da aus bin selbst ich in zwei Minuten zu Fuß am Rheinhauser Markt. Und weil heute Mittwoch war, war da auch Markt. Auf dem Rheinhauser Markt. Mir kam sogleich die Frage des leider viel zu früh gestorbenen Liedermachers Ulrich Roski in den Sinn, ob man denn Menschenauflauf auch mit Speckschwarte garnieren könne.
Ja, da ist immer richtig was los auf dem Rheinhauser Markt. Das heißt: nicht immer. Auch nicht: immer öfter. Nur mittwochs und samstags. Sollten Sie mich also unbedingt einmal am Mittwoch oder am Samstag Vormittag treffen wollen, wissen Sie also schon mal, wo Sie mich erst gar nicht zu suchen brauchen.

Auf dem Markt

Allerdings: heute früh hätten Sie Glück gehabt. Da ich ja – wie gesagt - ohnehin schon in der Stadt war, wühlte ich mich mal eben kurz durch den Menschenauflauf. Ich kann Ihnen sagen: das Gewühl ist mittendrin (statt nur dabei) noch abschreckender, als ich es bisher bei der enervierenden Parkplatzsuche an diesen Tage zu ahnen gewagt hatte.
Aber wem´s gefällt! Ein munteres Nebeneinander, Ineinander und Durcheinander der Kulturen, hier speziell der Einkaufskulturen. Hier vorwiegend der deutschen und der türkischen Kultur. Wenn man es nicht kennt – und ich kenne es nicht! -, würde man sagen: alles prima. Das Zusammen- und / oder Nebeneinanderleben von Deutschen und Türken sah für mich jedenfalls völlig unproblematisch aus. Fast wie ein Märchen aus Multikultia. Ich aber hielt Ausschau nur nach der Einen.
Wo konnte sie nur sein? Die Heilige oder Scheinheilige der Rheinhauser Arbeiterklasse. Die begnadete Heimatschriftstellerin. Die Kämpferin für Kinderschutz und Hausfrauenangelegenheiten. Meine Mitstreiterin in der AWO. Meine Ex-SPD-Genossin, die jetzt nicht nur sozial gerecht, sondern auch unabhängig sein will. So sagt es jedenfalls der Name ihres neuen Vereins.

Und der gefällt mir schon einmal überhaupt nicht. „Sozial gerecht“ – die Zauberformel hierzulande. Wenn man nur wüsste, was sozial gerecht ist. Man könnte ja zum Beispiel hingehen und in die Sozialstatistik gucken, um mal zu sehen, ob es Bevölkerungsgruppen gibt, die sozial benachteiligt sind. Man würde nicht lange brauchen, um herauszufinden, dass nach allen relevanten Parametern die türkischstämmige Bevölkerung besonders benachteiligt ist. Also sollte die Politik für die Gruppe mal verstärkt etwas tun. Das wäre dann sozial gerecht, sollte man meinen.
Noch superer finde ich das Adjektiv „unabhängig“. War schon zu meinen hochschulpolitischen Zeiten der echte Renner. Ist dort immer noch marktgängig, zumal in diesen Kreisen das an und für sich noch coolere Wörtchen „autonom“ von gewissen Außenseitergruppen in Beschlag genommen worden ist. Und zwar sehr schlagkräftig. Also „unabhängig“. Und das in Zeiten, wo so ziemlich jeder von jedem abhängig ist. Globalisierung und so. Aber auch vor Ort: irgendjemand muss doch den Müll wegräumen oder gegebenenfalls den Blindarm rausoperieren. Unsinn: „unabhängig“ – und was daran so „sozial gerecht“ sein soll, wollen wir erst gar nicht hinterfragen.

Durchmischung

Wollte ich auch gar nicht. Ich wollte sie nur mal fragen, wie es denn so läuft mit der Unterschriftensammlung und so. Aber sie war ja nicht da. Immerhin habe ich dann direkt vor dem Marktforum ein kleines Tischchen gesehen, über den ein Sonnenschirm gespannt war. SGU stand drauf; so wie bei richtigen Parteien. Aber da war sie auch nicht. Eine Handvoll Herren; keine Ahnung, ob die alle dazugehörten oder nur dem einen Herrn, der früher in der SPD war, lauschten. Und die Frau Dr. Spitzenkandidatin, die mir zwei Flyer zur Kommunalwahl in die Hand drückte.
Fertig, das war´s. Kurz mal überflogen. Ein Flyer (Hochglanz) für die SGU, der andere (leider nur auf Papier) speziell für Frau Doktor. Dort fand sich immerhin ein Punkt zur Integration. Ich zitiere – in voller Länge!

Wir brauchen Durchmischung und keine Ghettoisierung. Gefordert sind:
- Toleranz und Akzeptanz
- Angemessene Anpassung aller Kulturen

Anpassung – das ist natürlich schon eine Menge verlangt. Schauen Sie sich doch einfach mal die (selbst ausgewählten!) Porträtfotos der SGU-Vorstandsleute an!
Jetzt einmal im Ernst. Wer von diesen Gestalten sieht denn so aus, als sei er auch nur ein Ideechen anpassungsfähig. Und dann noch an eine andere Kultur! Es soll ja Kulturen geben so ganz ohne eine Karnevalgesellschaft Blau Weiß Die Pils Sucher. Und was dann? Zwangsanpassen?
Ich glaube nicht. Denn weil man ja auch – ich bin sicher, die Spitzenkandidatin spricht hier im Namen aller – auch für Toleranz und Akzeptanz ist, wird nur eine angemessene Anpassung gefordert. Also nur ein bisschen Anpassen. Entweder Karnevalsgesellschaft Blau Weiß oder Pils Suchen. Wahrscheinlich mit der gebotenen Durchmischung. Türkenquote bei Blau-Weiß?
Ich weiß nicht, was Frau Doktor mit Durchmischung meint. Ich wollte sie auch nicht fragen. Sie ist nämlich Chemikerin – genau wie die Frau Dr. Merkel. Und wenn so eine mir Durchmischung erklärt, ist das einzige, was dabei rauskommt, dass ich absolut keine Ahnung habe. Aber egal: ich bin auf jeden Fall dafür. Für die Durchmischung.

Ach, die Frau Doktor

Außerdem bin ich ja gar nicht ihretwegen gekommen. Aber die Dame meiner Sehnsucht war nicht da. Also musste ich mit der OB-Kandidatin Vorlieb nehmen. Sorte bekannt. Promovierte Naturwissenschaftlerin, zwei Kinder, deshalb – leider, die Welt ist schlecht – nichts draus geworden. Man, sorry: frau kann die Vita aufpumpen, wie man / frau will.
Alles Mist. Schlussendlich Glück gehabt, Beziehungen, Vitamin B: Referentin der Ratsgruppe SGU. So gibt es von den abgehalfterten Sozis ein schönes Zubrot für die Familie, und es bleibt genug Zeit, um sich um die blonden Jungs zu kümmern. Eigentlich ein Traum.
„Ich dachte, Sie sammeln hier heute Unterschriften“, sprach ich sie an. Ein älterer Herr mischte sich ungebeten ein und machte mich darauf aufmerksam, dass ich auf dieser Liste – zack vorgelegt! – unterschreiben könne, um dieser „jungen, attraktiven Frau Doktor“ ihre OB-Kandidatur zu ermöglichen. „Aber ich wollte doch eigentlich …“
Die junge, attraktive Frau Doktor wusste sofort Bescheid. Echt auf Zack! „Nun, direkt eine Liste haben wir nicht; aber – sehen Sie mal – wir machen hier einfach die Striche.“ Verstehe: die schweigende Mehrheit sagt nicht so gerne ihren Namen. Wer weiß, hinterher …
Oben links stand Ja, darunter kein Strich. Oben rechts (was soll denn jetzt daran so lustig sein?!) stand folglich Nein. Immerhin nach einer Viertelstunde schon sechs Striche. Die Frage lautete: soll der Rheinhauser Marktplatz in Gaziantep-Platz umbenannt werden? Womit unterstellt ist, der Platz habe bereits einen Namen.

Frau Doktor war richtig freundlich zu mir. „Ich mache dann hier gleich mal einen Strich für Sie“, strahlte sie mich an. Gesagt, getan, Nein-Strich Nummer sieben. „Halt! Stop! Meinen Strich bitte unter Ja!“ Lächeln weg, Nein-Strich weg (durchgestrichen), erster Strich unter Ja. Also bitte, alles perfekt demokratisch.
In der Demokratie muss man freilich zu seiner freien unabhängigen Meinung stehen, versteht sich. Die Herren versammelten sich um die Spitzenkandidatin und mich. So rein vom Feeling her verspürte ich so einen gewissen Rechtfertigungszwang. Ich tat, was ich konnte; dennoch war das Interesse von Frau Doktor an meiner Person sehr schnell erloschen. Immerhin schienen sich die Herren für meine eigenartigen Ansichten zu interessieren.
Ich trug vor, dass es überhaupt keine Möglichkeit gebe, sich der Stimme zu enthalten und regte an, Enthaltung noch als weitere Rubrik den beiden Strichlisten hinzuzufügen. Ansonsten fokussierte ich meine Kritik auf die Äußerungen der Frau Lenders, die von der NRZ / WAZ-Stadtteilausgabe heute freundlicherweise noch einmal als Leserbrief abgedruckt wurden. Ich hätte sie so gern gesprochen. Aber wo war sie nur?

    Hurra, da ist sie ja!

Doch dann: plötzlich – hurra! – war sie da. Die Freude war tatsächlich groß, dass man mich an die prominente Fürsprecherin des Volkes verweisen konnte. Leider brachte das in offener und freimütiger Atmosphäre auf dem Marktplatz ausgetragene Gespräch keine neuen Erkenntnisse. Ich erläuterte ihr in der mir eigenen Freundlichkeit, dass ich es nicht so hübsch fände, dass sie gegen Teile der Rheinhauser Bevölkerung hetze, und dass ich gedenke, ihre Äußerungen in dieser Angelegenheit auch weiterhin genauestens zu verfolgen, um gegebenenfalls den zuständigen Behörden anzeigen zu können, sie, also Frau Lenders, strafrechtlich zu verfolgen. Ich solle die Kirche (!) im Dorf (!) lassen, erwiderte sie. Ja gern, aber ich sah mich schon veranlasst darauf hinzuweisen, dass das von mir zu Bedenken Gegebene sehr wohl mein voller Ernst sei.
„Fragen Sie mal die Leute!“ In den etwa zehn Minuten unseres Gesprächs gab mir Frau Lenders dreimal diesen Rat. Ich hatte – auf jeden Fall beim zweiten und dritten Mal – auf der Zunge, dass ich es für besser hielte, wenn die Leute mich fragten. Aber ich bin ja niemand, der Streit sucht. Stattdessen zog ich es vor nachzufragen, ob sie in allem Ernst meine, dass die Politik sich mehr um die Befindlichkeiten der Migranten als der Eingeborenen kümmere. Ja, bekräftige sie, genau das meine sie.
Ich hielt ihr nicht etwa entgegen, dass eine solche Politik verfassungsmäßig geboten sei (wie gesagt: nur kein Streit!), sondern verwies darauf, dass dies doch schon allein deshalb schwer vorstellbar sei, da doch die Bezirksvertretung – von einer Ausnahme abgesehen – geschlossen gegen eine türkische Namensgebung welcher Straße auch immer in Rheinhausen sei.

Frau Lenders insistierte, dass die Bezirkspolitik Türken bevorzuge. Aber dies mache die Politik auf allen Ebenen so. Ich verzichtete abermals darauf, ihr zu erläutern, dass dies nichts anderes als der Vollzug eines Verfassungsauftrags wäre. Erst als sie – wie gehabt – die Demokratie und die Meinungsfreiheit für ihr Treiben meinte, bemühen zu können, wies ich in aller gebotenen Kürze darauf hin, dass sich das Demokratieprinzip im Grundgesetz aus dem Gleichheitsprinzip ableitet, und dass man die Meinungsfreiheit für alles Mögliche bemühen kann, aber nur sehr grenzwertig für ihr ausländerfeindliches Treiben.

So, wie die Dinge liegen, stehen die Chancen für Frau Lenders nicht schlecht, dass ihr Traum, in die Bezirksvertretung gewählt zu werden, wahr wird. Sie hätte solch ein rechtspopulistisches Tamtam gar nicht nötig. Sie weiß das. Und selbstverständlich geht Frau Lenders mit ihrer Türkenfeindlichkeit auf Stimmenfang. Fragen Sie mal die Leute!
Aber das ist es nicht allein. Bei ihr kommt es aus tiefster Seele – oder wie man das bei so Leuten nennen sollte. Frau Lenders geht es nicht in erster Linie um Stimmenfang, sondern um Stimmungsmache. Habe ich ihr gesagt, und wenn sie erwidert, die Stimmung sei bereits da, kann ich nicht mehr wechseln.

Insofern endete das offene und freimütige Gespräch mit einer Einigung in der Sache.

Werner Jurga, 13.05.2009 

 

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