Die große Flut

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

flut klein

Der Staatschef sagt es, die Regierungschefin sagt es, und viele Andere sagen es auch. Und es ist wahr: die Krise ist noch keineswegs überstanden.

Jeder weiß: dass es nicht ganz so dicke gekommen ist, ist der Kurzarbeiterregelung zu verdanken. Und den milliardenschweren Konjunkturprogrammen. Dennoch: im Laufe des kommenden Winters werden Hunderttausende ihren Arbeitsplatz verlieren. Das Kurzarbeitergeld wurde bis Ende 2010 verlängert. Und dann?

Die Sache ist ja nicht ganz billig. Die Kurzarbeit und die Konjunkturprogramme haben gewaltige Löcher in die öffentlichen Haushalte gerissen. Dazu gab es keine Alternative. Außer einen dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit.
Wie gesagt: die Krise ist noch keineswegs überstanden. „Die Krise kommt im Jahr 2010 in den Portemonnaies an“, schreibt die „Welt am Sonntag“ und zitiert die aktuelle Kaufkraft-Studie der GfK für Deutschland. Danach sinkt das verfügbare Einkommen im Jahr 2010 um 42 Euro pro Einwohner oder 7,5 Milliarden Euro insgesamt. Darin ist der ohnehin prognostizierte Anstieg der Arbeitslosigkeit nicht berücksichtigt, der ebenfalls die Massenkaufkraft senkt und die öffentlichen Haushalte weiter belastet.
Da wäre es nicht klug, würden Präsident und Kanzlerin etwas Anderes sagen als „die Krise ist noch keineswegs überstanden“.

In der Wirtschaftspresse wird in diesen Tagen über Geld und Währungen diskutiert. Henrik Müller ist stellvertretender Chefredeakteur des Manager Magazins, Thomas Fricke Chefredakteur der Financial Times Deutschland. Müller ist Monetarist, Fricke Keynesianer.
Beide Autoren gelten als Hardliner, also recht scharfe Vertreter ihrer jeweiligen ökonomischen Strömung. Auch wenn sich beide in ihren aktuellen Kolumnen mit dem gleichen Thema befassen, nämlich mit den Devisenkursen, kann es daher kaum überraschen, dass die beiden sich ganz unterschiedliche Sorgen machen und zu entsprechend anderen Schlussfolgerungen kommen. Was sie eint, nämlich die Wahl des Themas, sollte jedoch ein untrügliches Zeichen dafür sein, dass von dieser Seite wirklich Unbill droht.

In der Dezember-Ausgabe des Manager Magazins sieht Henrik Müller die globale Wirtschaft „auf dem Weg zur Weltwährungskrise“, so der Titel seines Kommentars. Er steht leider (noch) nicht im Internet; nach Weihnachten dürfte er hier zu finden sein.
„Was wird all das Geld mit der globalen Wirtschaft anrichten?“ fragt Müller im Untertitel.

Üblicherweise stellen wir uns Rezessionen als reinigende Gewitter vor, die all den Schmutz wegspülen, der sich in der hitzigen Phase zuvor angesammelt hat. Doch danach sieht es dieses Mal nicht aus. Immer noch, das ist der Kern des Problems, schwappt zu viel Geld durch die Welt.

Sollten Sie bislang noch keine genaue Vorstellung vom Monetarismus gehabt haben, hier haben Sie das Musterbeispiel: „zu viel Geld“. Es ist immer zu viel Geld da – in der monetaristischen Vorstellungswelt. Da „schwappt“ das Geld nur so. Die Staatsverschuldung ist zu hoch, die Inflation droht usw. usf. – immer.
Das Zauberwort oder besser: das Teufelswort heißt Überschussliquidität. Es bezeichnet die Differenz zwischen dem Wachstum der Geldmenge und dem nominalen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts. Seit 2001 nimmt die Überschussliquidität tatsächlich kräftig zu.
Die Europäische Zentralbank (EZB), ein Club von Monetaristen, begründet dies mit Portfolioumschichtungen und der steigenden Nachfrage an Euro-Bargeld außerhalb der Euro-Zone. Damit kommt man bei einem wie Henrik Müller jedoch nicht durch. Es fällt auf, dass in allen führenden Wirtschaftsnationen und auch in den BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) die Überschussliquidität exponentiell zugenommen hat. Das Schaubild dazu im Manager Magazin heißt „die große Flut“. Und seit einem Jahr, seit Ausbruch der großen Krise oder besser: seit Beginn der staatlichen Gegenmaßnahmen wird die Welt endgültig, um in Müllers Jargon zu bleiben, mit Geld überflutet. Er schließt mit:

Die Überschussliquidität tut längst ihre Wirkung. An den Finanzmärkten
bilden sich wieder Ãœbertreibungen, von einer Bond-Bubble ist die Rede.

Die Sprache ist etwas merkwürdig. Ein Bond ist eine Staatsanleihe, ein Bond-Bubble folglich eine Spekulationsblase auf den Rentenmärkten. Zwar lässt sich auch direkt mit Devisen spekulieren, was auch munter geschieht, inklusive der entsprechenden Blasenbildungen, aber es ist klar, dass der Kurs einer Staatsanleihe in enger Korrelation zum Devisenkurs des jeweiligen Landes steht.

Während der Monetarist ein Anhänger eines starken Euro ist – wobei: auch ein starker Euro bietet nur scheinbar Sicherheit -, sorgt sich der Keynesianer um die Wettbewerbsposition der Volkswirtschaft. Thomas Frickes Kommentar heißt „Gemeingefährliche Devisenspiele“, und das ist die Einleitung:

Die Finanzkrise hat tektonische Verschiebungen der globalen
Währungsverhältnisse mit sich gebracht. Schuld sind Marktdemenz und
Manipulationen. Sie drohen den Exportmeister Deutschland ins Desaster zu führen.

„Marktdemenz“ – sehr schön, muss ich mir merken. Manipulation? Wie auch immer: auf jeden Fall die Spekulation – auf den Devisenmärkten wie auf den Bondmärkten. Armes Deutschland! Hä? – Ja sicher, auch andere Nationen im „Euroland“ haben den Euro, und ohne den Euro wäre die deutsche Währung (D-Mark) schon längst unter die Decke geknallt, aber es stimmt ja (Fricke ist nur ein kleines nationales Versehen unterlaufen):

Die Rechnung zahlen jene, die nach allen Manipulationen und Marktversagen hochgehandelt werden. Zum Beispiel die Deutschen, die so zu späten Großverlierern der Krise zu werden drohen. Nach OECD-Schätzung müsste der Euro 1,16 $ kosten, wenn er, wie es ökonomisch sinnvoll wäre, transatlantische Kaufkraftunterschiede ausgliche. Jetzt liegt er bei 1,50 $. Sprich: Euro-Waren und -Arbeitskräfte sind allein devisenkursbedingt im Ausland fast 30 Prozent zu teuer. Da fliehen jetzt halt Betriebe, … wie die gerade angekündigte Verlagerung von Teilen der Mercedes-Produktion ins Dollar-schwache Amerika erahnen lässt.

Ja, die Amerikaner. Oder auch die Briten:

Bis zum Ausbruch der Krise lag das britische Pfund bei 1,50 Euro – jetzt sind es nur noch gut 1,10 Euro. Deutsche Exporte nach Großbritannien sind damit rechnerisch fast 40 Prozent teurer als vor zweieinhalb Jahren. Im Schnitt hat die britische Währung weltweit ein Viertel abgewertet. 

Also kommt Thomas Fricke zu dem Schluss:

Es wäre höchste Zeit, über ein neues Weltwährungssystem
zu sinnieren. Das aktuelle ist ein Desaster.

Ich sinniere und sinniere. Über ein neues Weltwährungssystem. Feste Wechselkurse à la Bretton Woods? - Nicht ganz so neu. Eine Welteinheitswährung? – Gern, doch scheint mir die Zeit noch nicht reif für den „Globo“ zu sein. Und was schlägt Henrik Müller vor, der monetaristische Gegenspieler? – „Zinsen rauf, und zwar schnell!“
Das war ja auch kaum anders zu erwarten. Eine Katastrophe!

So brillant die Analysen der beiden Wirtschaftsexperten, so unbrauchbar deren Vorschläge. Außerdem: die beiden Analysen widersprechen sich im Kern gar nicht. Es ist zu viel Geld unterwegs. Geld, das eben nicht in den Konsum oder in Investitionen geht, sondern in die Spekulationsblasen hineinflutet.
Wäre da nicht mit einer, möglichst hohen, möglichst weltweiten, Börsenumsatzsteuer fürs Erste etwas geholfen? Dazu noch eine Tobin-Steuer auf Devisenspekulationen? Jedenfalls: wenn noch einmal etwas platzt, es zu einer Weltwährungskrise kommt, dann wird es wirklich sehr ungemütlich.

Werner Jurga, 14.12.2009

 

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