Das schreibende Prekariat

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Ich bin Blogger. Lieber wäre ich Journalist, oder noch besser: Publizist. Aber was soll ich machen. Dafür hat es nicht gereicht. Also bin ich halt Blogger.
Gestern Abend habe ich mich mit einem Kollegen getroffen, also: einem Blogger-Kollegen. Und von dem habe ich etwas gehört, von dem ich bislang gar nicht wusste, dass es so etwas überhaupt gibt. Aber man lernt ja nie aus. Sachen gibt es, die gibt es gar nicht.

Das schreibende Prekariat

Dabei wollten wir uns nur so ein bisschen kennenlernen. Bislang hatten wir nur etwas eMail-Korrespondenz, und da haben wir uns einfach mal verabredet. Um ein besseres Bild vom Anderen bekommen zu können und beim Glas Bier ganz locker zu plaudern, über den Sauerland und den Brandt, über die Janicki und den Dierkes. Und dann frage ich – sowieso immer ziemlich locker – einfach mal so ganz locker: „Und, was machst Du denn so?“ Da erschreckte mich dieses Wort: „das schreibende Prekariat“. Zu eben diesem gehöre er, ließ er mich wissen. Ob er mich auch dazu zähle, traute ich mich erst gar nicht zu fragen. Schreibendes Prekariat, also ehrlich: dann lieber Blogger.
Schreibendes Prekariat – dazu fielen mir sofort all die User ein, die auf der Internet-Plattform der WAZ-Gruppe Zeugnis von ihren ungenügenden orthographischen Kenntnissen und ihrem gesunden Volksempfinden ablegen. Nein, die meine er selbstredend nicht. Es gebe eine ganze Reihe von Leuten, auch hier, die was auf dem Kasten haben und richtig schreiben können. Zum Beispiel bei ruhrbarone.de, aber auch bei einigen anderen Internet-Portalen.
Nur einen Job finden sie nicht; die Print-Medien im allgemeinen und die WAZ-Gruppe im besonderen bauen Stellen ab. Da sieht es düster aus. Vielleicht ja auch deshalb, weil „das schreibende Prekariat“ mit all seinen Blogs den Etablierten, wie z.B. der WAZ-Gruppe, Konkurrenz macht. Und wenn dem so sein sollte: ist das dann Dialektik oder einfach nur ein Teufelskreis?

Dialog, Interaktion, Debatte …

Meine Homepage sei auch gar nicht so schlecht, schmeichelte mir mein Gesprächspartner. Nur, gab er mir zu bedenken, das Internet sei keine Einbahnstraße. Insofern sei meine Webseite nicht up to date. Dialog müsse her, Interaktion, Debatte …
Auch der Jürgen C. Brandt von „meiner“ SPD mache doch jetzt so etwas. Das saß. Jetzt saß ich aber da. Jurga in Sachen Demokratie klar hinter Brandt. Dumme Sache. Außerdem stimmt es ja: das Internet ist ein interaktives Medium.
Und mir fällt dazu nur ein - frei nach Udo Lindenberg:

Ich bitte um Verständnis, meine Damen, meine Herrn,
in dieser Hinsicht bin ich nicht ganz so modern.

Das ist auch eine Frage des Alters, weniger ein Problem mangelnder Debattenfreudigkeit. Alle Welt meint, wohl weil ich eine Homepage mache, ich sei recht fit in Sachen Internet, Computer und so. Dem ist aber nicht so.
Und dann diese funktionalen Analphabeten auf derWesten.de! Gott bewahre!
Und drittens: meine sprichwörtliche Bescheidenheit. Die Vorstellung, dass stilvolle, sachkundige und meinetwegen auch linke Debatten ausgerechnet auf meiner Homepage stattfinden könnten, scheint mir doch etwas vermessen. Jurga.de als bürgerlicher Salon mit dem schreibenden Prekariat zu Gast. Wow!

Also, das muss ich mir mal durch den Kopf gehen lassen. Bestimmt nicht mehr in diesem Jahr, dem Super-Wahljahr. Und außerdem kann mir schon jetzt jeder und jede einen Kommentar oder Beitrag mailen. Wenn ich den veröffentlichen soll, mache ich das. Mit Namen, versteht sich, echtem Namen. Man muss nicht einmal zum schreibenden Prekariat gehören – im Sinne dieses von meinem Gesprächspartner in die Debatte geworfenen Ehrennamens. Man darf nicht zu dem schreibenden Prekariat gehören, das seine ausländerfeindlichen und antisemitischen Entgleisungen bislang auf derWesten.de platzieren kann. So etwas bringe ich nicht. Echt nicht.

Da bin ich wirklich altmodisch. A Yesterday Man. Vielleicht eine Frage des Alters. Ich mache jetzt erst einmal Anti-Aging.

Werner Jurga, 05.02.2009

 

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