... und sie erwärmt sich doch!

Die politische Internet-Zeitung aus Duisburg

Heute ist Buß- und Bettag. Ein Tag der Besinnung, ein Tag des In-sich-Gehens. Ein Tag, der uns zunächst einmal mit der quälenden Frage konfrontiert: wie konnte Gott es zulassen, dass der Buß- und Bettag abgeschafft wurde?

Wir besinnen uns nach einigem In-uns-Gehen darauf, dass Gott so etwas niemals zugelassen hätte. Allein deshalb ist der Buß- und Bettag ja auch gar nicht abgeschafft worden; seit 1995 ist uns Sündern vielmehr die Gelegenheit gegeben, zusätzlich zu allem Büßen und Beten auch noch unserem Tagwerk nachzugehen – freilich nicht ganz so unbeschwert wie sonst. Wie sagen wir es den Kindern?
Im Unterschied zu Gottesdiensten an anderen Tagen singen die Menschen am Buß- und Bettag kein fröhliches Halleluja. In den Predigten sprechen die Pfarrer häufig über gesellschaftliche Missstände und denken an die Menschen, denen es nicht so gut geht.
Denken wir also an die hungernden Menschen in der Dritten Welt! Zum Beispiel, weil heute Bußtag ist, oder: weil heute der letzte Tag des dreitägigen Welternährungsgipfel in Rom stattfindet. Da haben die Regierungen aus aller Welt schon vorgestern, also gleich am ersten Tag, beschlossen, dass sie das genau genommen eigentlich nicht so gut finden, dass inzwischen schon mehr als eine Milliarde Menschen nicht genug zu essen und zu trinken haben. Da waren die sich sofort alle einig; das war denen allen so klar wie Kloßbrühe. Deshalb mussten die Staats- und Regierungschefs auch gar nicht extra bis nach Rom kommen, womit diese Reisekosten auch schon einmal eingespart waren. Zumal dort ohnehin nichts beschlossen wurde. Wahrscheinlich kann man da auch gar nichts dran machen.
Also zum Beispiel daran, dass alle fünf Sekunden ein Kind verhungert, was in einer Minute zwölf Kinder sind. In einer Stunde verhungern folglich 720 Kinder; pro Tag also – Kinder, Kinder, das ist jetzt aber gar nicht so einfach - 720 Kinder mal 24 Stunden.

Andererseits: man weiß es ja auch nicht so ganz genau. Wahrscheinlich kann man schon allein deshalb auch nicht groß daran etwas machen. Man weiß es halt nicht so genau. Wie konnte Gott dies bloß zulassen?
Oder der Klimawandel. Dazu findet Anfang Dezember ein ganz großer Kongress in Kopenhagen statt. Da weiß man zwar schon jetzt ganz genau, dass da nichts bei herauskommen wird. Was man jedoch auch hier nicht so ganz genau weiß, ist, ob es das überhaupt gibt – Klimawandel, globale Erwärmung.
In der aktuellen Ausgabe des Spiegel steht nämlich, dass es seit Beginn dieses Jahrzehnts / Jahrhunderts / Jahrtausends überhaupt nicht mehr wärmer wird auf dieser unserer Welt. Das könnte am „Schwächeln der Sonne“ liegen oder aber auch an einer frischen Brise aus dem Ozean.

Der Spiegel schreibt:
KLIMA - Das Schwächeln der Sonne: Die Erderwärmung ist ins Stocken geraten: Seit zehn Jahren steigt die globale Durchschnittstemperatur nicht weiter an. Die Klimatologen rätseln darüber, wie sich dieser Trend erklären lässt. Liegt es an den fehlenden Sonnenflecken? Oder an ungewöhnlichen Meeresströmungen? (S. 134)
Der Spiegel vom 18.11.2009. Und in der ZEIT vom 02.11.2009 stand es auch schon. Man weiß es halt nicht so genau. Der Klimawandel legt mal eine Pause ein. Das ist menschlich; er hatte sich ja auch vorher jahrzehntelang verdammt ins Zeug gelegt. Und wie es nach der Pause weitergeht, kann man sich ja wohl vorstellen! Ganz genau weiß man es freilich immer erst hinterher. Die ZEIT fragt: „Wie geht es nach der Atempause weiter?“ Und der angesehene Klimaexperte Latif antwortet: „Der Klimawandel könnte danach durchaus schneller voranschreiten.“ Das könnte ich mir übrigens auch vorstellen, weil das ja jetzt auch so ähnlich in der Bildzeitung stand.
Da kapiert man das wenigstens einmal. Es wird seit Jahren auf der Welt nicht wärmer; das ist völlig klar. „Was sind die Gründe?“ – „Unklar.“ Und damit wir alle schön auf Kurs bleiben, erfahren wir das Resümee schon vorweg in der Überschrift: „Aber in Wahrheit macht der Klimawandel wohl nur kurz Pause.“
Ja, ist wohl so. Könnte, und vor allem: danach durchaus. Muss aber nicht. Man weiß es halt nicht so genau. Verrückte Welt!

Lasset uns beten! Lasset uns büßen! Was hat der Mensch – also Sie zum Beispiel – nicht alles dieser ursprünglich doch so unschuldigen Welt angetan?! Haben Sie eigentlich einmal über Ihre ganz persönliche Ökobilanz nachgedacht? Nichts da, kein Vielflieger, kein Berufspendler, kein Hüttenwerker. Sie sind trotzdem nichts Anderes als ein einziger Umweltzerstörer! Tun Sie also Buße! Spenden Sie z.B. für jeden geflogenen Kilometer an Gottweißwen!
Für die verhungernden Kinder können Sie aber nichts, meinen Sie? – Lassen wir das. Dann beten Sie halt nur für die Armen!
Ich gebe ja zu: man weiß es halt alles nicht so genau. Aber ich wette: der Tag wird kommen, da erschallt der Ruf: „… und sie erwärmt sich doch!“ Die Erde natürlich, Ursache unklar. Vielleicht liegt es dann am globalen Klima. Vielleicht aber wird es aber auch nur deshalb zu einem dramatischen Temperaturanstieg kommen, weil all die Milliarden potenzieller Umweltverschmutzer einfach keine Lust mehr haben zu verhungern. Schwer zu sagen. 

Werner Jurga, 18.11.2009

 

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